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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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Einige Gedanken
so richtig zu seyn, als irgend eine Theilung zwi-
schen den Veränderungen der menschlichen Seele
seyn kann. Denn wenn es erlaubt ist, überhaupt
Verstand und Herz von einander zu unterscheiden,
obgleich weder Vernunft noch Einbildungskraft
lange geschäftig seyn kann, ohne das Herz daran
Theil nehmen zu lassen, so ist es auch erlaubt,
den Antheil, den wir an den Aeußerungen des
Verstandes eines andern, von dem, den wir an
den Ausbrüchen seines Herzens nehmen, abzu-
sondern; oder mit andern Worten, das Interesse,
welches Räsonnements oder Schilderungen, und
das, welches Gemüthsbewegungen oder Schick-
sale erregen, zu unterscheiden.

Vielleicht würden wir die Wahrheit, die wir
bey unsrer Eintheilung im Sinne hatten, noch
besser ausgedrückt haben, wenn wir so gesagt
hätten: Der Zustand eines Menschen, der von
etwas interessirt wird, ist ein vollkommneres Wa-
chen, ein höherer Grad von Leben. Er wird also
darinnen bestehen, daß wir uns selbst lebhafter
empfinden, daß wir mehr Begierden und Erwar-

Einige Gedanken
ſo richtig zu ſeyn, als irgend eine Theilung zwi-
ſchen den Veraͤnderungen der menſchlichen Seele
ſeyn kann. Denn wenn es erlaubt iſt, uͤberhaupt
Verſtand und Herz von einander zu unterſcheiden,
obgleich weder Vernunft noch Einbildungskraft
lange geſchaͤftig ſeyn kann, ohne das Herz daran
Theil nehmen zu laſſen, ſo iſt es auch erlaubt,
den Antheil, den wir an den Aeußerungen des
Verſtandes eines andern, von dem, den wir an
den Ausbruͤchen ſeines Herzens nehmen, abzu-
ſondern; oder mit andern Worten, das Intereſſe,
welches Raͤſonnements oder Schilderungen, und
das, welches Gemuͤthsbewegungen oder Schick-
ſale erregen, zu unterſcheiden.

Vielleicht wuͤrden wir die Wahrheit, die wir
bey unſrer Eintheilung im Sinne hatten, noch
beſſer ausgedruͤckt haben, wenn wir ſo geſagt
haͤtten: Der Zuſtand eines Menſchen, der von
etwas intereſſirt wird, iſt ein vollkommneres Wa-
chen, ein hoͤherer Grad von Leben. Er wird alſo
darinnen beſtehen, daß wir uns ſelbſt lebhafter
empfinden, daß wir mehr Begierden und Erwar-

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[314/0320] Einige Gedanken ſo richtig zu ſeyn, als irgend eine Theilung zwi- ſchen den Veraͤnderungen der menſchlichen Seele ſeyn kann. Denn wenn es erlaubt iſt, uͤberhaupt Verſtand und Herz von einander zu unterſcheiden, obgleich weder Vernunft noch Einbildungskraft lange geſchaͤftig ſeyn kann, ohne das Herz daran Theil nehmen zu laſſen, ſo iſt es auch erlaubt, den Antheil, den wir an den Aeußerungen des Verſtandes eines andern, von dem, den wir an den Ausbruͤchen ſeines Herzens nehmen, abzu- ſondern; oder mit andern Worten, das Intereſſe, welches Raͤſonnements oder Schilderungen, und das, welches Gemuͤthsbewegungen oder Schick- ſale erregen, zu unterſcheiden. Vielleicht wuͤrden wir die Wahrheit, die wir bey unſrer Eintheilung im Sinne hatten, noch beſſer ausgedruͤckt haben, wenn wir ſo geſagt haͤtten: Der Zuſtand eines Menſchen, der von etwas intereſſirt wird, iſt ein vollkommneres Wa- chen, ein hoͤherer Grad von Leben. Er wird alſo darinnen beſtehen, daß wir uns ſelbſt lebhafter empfinden, daß wir mehr Begierden und Erwar-

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/320>, abgerufen am 29.03.2024.