Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Stoffe in der Mischung der Körper äußerst eng zusammengepreßt oder eingekerkert, woher denn auch die gewöhnlichen Ausdrücke des Entbindens oder Entwickelns der Gasarten entsprungen sind.

Nun ist es zwar unleugbar, daß eben die Materie, welche nach der Entwickelung den luftfötmigen Stoff ausmacht, vorher in der Mischung des Körpers enthalten war. So wird Niemand zweifeln, daß die durch Vitriolsäure aus der Kreide getriebne Luftsäure zuvor einen Bestandtheil der Kreide selbst ausgemacht habe. Allein man muß sich hiebey nicht vorstellen, daß sie im festen Körper schon Luft gewesen, und nur durch Einsperrung oder Cohäsion verhindert worden sey, ihre Elasticität zu zeigen; welchen falschen Begrif dennoch viele Schriftsteller mit den Worten: verkörperte, eingekerkerte Luft (aer incorporatus, incarceratus) verbinden. Eine solche Einkerkerung elastischer Luft würde die schrecklichsten Erplosionen veranlassen, die auch in der That erfolgen, wenn sich plötzlich erzeugte Gasarten nicht sogleich genugsam ausbreiten können, s. Knallpulver, Schießpulver.

Vielmehr ist die Materie, so lang sie sich in der Mischung des zersetzten Körpers befindet, noch nicht Luft, und ihr Uebergang in eine Luftart macht eine eigne Veränderung ihrer Form oder ihres Zustands aus. So wie Festigkeit und Flüssigkeit, wie Dampfgestalt und Tropsbarkeit, verschiedene Zustände sind, in welchen sich eine und eben dieselbe Substanz zeigen kan, so ist auch Luftgestalt oder permanent-elastische Form ein bloßer Zustand der Materie, welchen dieselbe annehmen oder verlassen kan, ohue daß sich ihre Substanz ändert. So ist es vielleicht ein und ebenderselbe Stoff, der in sester Gestalt Eis, in trepfbarer Wasser, in Dampfgestalt Wasserdampf, in Luftgestalt dephlogistisirte Luft genannt wird.

Man findet also in der Mischung der Körper nicht Luft (aerem mixtionis), sondern Stoffe, welche durch gewisse Bearbeitungen die Luftgestalt annehmen. Einige dieser Stoffe kennt man freylich blos unter dem Namen der Luft. Man wird mich daher nicht falsch verstehen,


Stoffe in der Miſchung der Koͤrper aͤußerſt eng zuſammengepreßt oder eingekerkert, woher denn auch die gewoͤhnlichen Ausdruͤcke des Entbindens oder Entwickelns der Gasarten entſprungen ſind.

Nun iſt es zwar unleugbar, daß eben die Materie, welche nach der Entwickelung den luftfoͤtmigen Stoff ausmacht, vorher in der Miſchung des Koͤrpers enthalten war. So wird Niemand zweifeln, daß die durch Vitriolſaͤure aus der Kreide getriebne Luftſaͤure zuvor einen Beſtandtheil der Kreide ſelbſt ausgemacht habe. Allein man muß ſich hiebey nicht vorſtellen, daß ſie im feſten Koͤrper ſchon Luft geweſen, und nur durch Einſperrung oder Cohaͤſion verhindert worden ſey, ihre Elaſticitaͤt zu zeigen; welchen falſchen Begrif dennoch viele Schriftſteller mit den Worten: verkoͤrperte, eingekerkerte Luft (aër incorporatus, incarceratus) verbinden. Eine ſolche Einkerkerung elaſtiſcher Luft wuͤrde die ſchrecklichſten Erploſionen veranlaſſen, die auch in der That erfolgen, wenn ſich ploͤtzlich erzeugte Gasarten nicht ſogleich genugſam ausbreiten koͤnnen, ſ. Knallpulver, Schießpulver.

Vielmehr iſt die Materie, ſo lang ſie ſich in der Miſchung des zerſetzten Koͤrpers befindet, noch nicht Luft, und ihr Uebergang in eine Luftart macht eine eigne Veraͤnderung ihrer Form oder ihres Zuſtands aus. So wie Feſtigkeit und Fluͤſſigkeit, wie Dampfgeſtalt und Tropſbarkeit, verſchiedene Zuſtaͤnde ſind, in welchen ſich eine und eben dieſelbe Subſtanz zeigen kan, ſo iſt auch Luftgeſtalt oder permanent-elaſtiſche Form ein bloßer Zuſtand der Materie, welchen dieſelbe annehmen oder verlaſſen kan, ohue daß ſich ihre Subſtanz aͤndert. So iſt es vielleicht ein und ebenderſelbe Stoff, der in ſeſter Geſtalt Eis, in trepfbarer Waſſer, in Dampfgeſtalt Waſſerdampf, in Luftgeſtalt dephlogiſtiſirte Luft genannt wird.

Man findet alſo in der Miſchung der Koͤrper nicht Luft (aërem mixtionis), ſondern Stoffe, welche durch gewiſſe Bearbeitungen die Luftgeſtalt annehmen. Einige dieſer Stoffe kennt man freylich blos unter dem Namen der Luft. Man wird mich daher nicht falſch verſtehen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0034" xml:id="P.3.28" n="28"/><lb/>
Stoffe in der Mi&#x017F;chung der Ko&#x0364;rper a&#x0364;ußer&#x017F;t eng zu&#x017F;ammengepreßt oder <hi rendition="#b">eingekerkert,</hi> woher denn auch die gewo&#x0364;hnlichen Ausdru&#x0364;cke des <hi rendition="#b">Entbindens</hi> oder <hi rendition="#b">Entwickelns</hi> der Gasarten ent&#x017F;prungen &#x017F;ind.</p>
            <p>Nun i&#x017F;t es zwar unleugbar, daß eben die Materie, welche nach der Entwickelung den luftfo&#x0364;tmigen Stoff ausmacht, vorher in der Mi&#x017F;chung des Ko&#x0364;rpers enthalten war. So wird Niemand zweifeln, daß die durch Vitriol&#x017F;a&#x0364;ure aus der Kreide getriebne Luft&#x017F;a&#x0364;ure zuvor einen Be&#x017F;tandtheil der Kreide &#x017F;elb&#x017F;t ausgemacht habe. Allein man muß &#x017F;ich hiebey nicht vor&#x017F;tellen, daß &#x017F;ie im fe&#x017F;ten Ko&#x0364;rper &#x017F;chon Luft gewe&#x017F;en, und nur durch Ein&#x017F;perrung oder Coha&#x0364;&#x017F;ion verhindert worden &#x017F;ey, ihre Ela&#x017F;ticita&#x0364;t zu zeigen; welchen fal&#x017F;chen Begrif dennoch viele Schrift&#x017F;teller mit den Worten: <hi rendition="#b">verko&#x0364;rperte, eingekerkerte Luft</hi> <hi rendition="#aq">(aër incorporatus, incarceratus)</hi> verbinden. Eine &#x017F;olche Einkerkerung ela&#x017F;ti&#x017F;cher Luft wu&#x0364;rde die &#x017F;chrecklich&#x017F;ten Erplo&#x017F;ionen veranla&#x017F;&#x017F;en, die auch in der That erfolgen, wenn &#x017F;ich plo&#x0364;tzlich erzeugte Gasarten nicht &#x017F;ogleich genug&#x017F;am ausbreiten ko&#x0364;nnen, &#x017F;. <hi rendition="#b">Knallpulver, Schießpulver.</hi></p>
            <p>Vielmehr i&#x017F;t die Materie, &#x017F;o lang &#x017F;ie &#x017F;ich in der Mi&#x017F;chung des zer&#x017F;etzten Ko&#x0364;rpers befindet, noch nicht <hi rendition="#b">Luft,</hi> und ihr Uebergang in eine Luftart macht eine eigne Vera&#x0364;nderung ihrer Form oder ihres Zu&#x017F;tands aus. So wie Fe&#x017F;tigkeit und Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit, wie Dampfge&#x017F;talt und Trop&#x017F;barkeit, ver&#x017F;chiedene Zu&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;ind, in welchen &#x017F;ich eine und eben die&#x017F;elbe Sub&#x017F;tanz zeigen kan, &#x017F;o i&#x017F;t auch <hi rendition="#b">Luftge&#x017F;talt</hi> oder <hi rendition="#b">permanent-ela&#x017F;ti&#x017F;che Form</hi> ein bloßer Zu&#x017F;tand der Materie, welchen die&#x017F;elbe annehmen oder verla&#x017F;&#x017F;en kan, ohue daß &#x017F;ich ihre Sub&#x017F;tanz a&#x0364;ndert. So i&#x017F;t es vielleicht ein und ebender&#x017F;elbe Stoff, der in &#x017F;e&#x017F;ter Ge&#x017F;talt Eis, in trepfbarer Wa&#x017F;&#x017F;er, in Dampfge&#x017F;talt Wa&#x017F;&#x017F;erdampf, in Luftge&#x017F;talt dephlogi&#x017F;ti&#x017F;irte Luft genannt wird.</p>
            <p>Man findet al&#x017F;o in der Mi&#x017F;chung der Ko&#x0364;rper nicht <hi rendition="#b">Luft</hi> <hi rendition="#aq">(aërem mixtionis),</hi> &#x017F;ondern Stoffe, welche durch gewi&#x017F;&#x017F;e Bearbeitungen die Luftge&#x017F;talt annehmen. Einige die&#x017F;er Stoffe kennt man freylich blos unter dem Namen der Luft. Man wird mich daher nicht fal&#x017F;ch ver&#x017F;tehen,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0034] Stoffe in der Miſchung der Koͤrper aͤußerſt eng zuſammengepreßt oder eingekerkert, woher denn auch die gewoͤhnlichen Ausdruͤcke des Entbindens oder Entwickelns der Gasarten entſprungen ſind. Nun iſt es zwar unleugbar, daß eben die Materie, welche nach der Entwickelung den luftfoͤtmigen Stoff ausmacht, vorher in der Miſchung des Koͤrpers enthalten war. So wird Niemand zweifeln, daß die durch Vitriolſaͤure aus der Kreide getriebne Luftſaͤure zuvor einen Beſtandtheil der Kreide ſelbſt ausgemacht habe. Allein man muß ſich hiebey nicht vorſtellen, daß ſie im feſten Koͤrper ſchon Luft geweſen, und nur durch Einſperrung oder Cohaͤſion verhindert worden ſey, ihre Elaſticitaͤt zu zeigen; welchen falſchen Begrif dennoch viele Schriftſteller mit den Worten: verkoͤrperte, eingekerkerte Luft (aër incorporatus, incarceratus) verbinden. Eine ſolche Einkerkerung elaſtiſcher Luft wuͤrde die ſchrecklichſten Erploſionen veranlaſſen, die auch in der That erfolgen, wenn ſich ploͤtzlich erzeugte Gasarten nicht ſogleich genugſam ausbreiten koͤnnen, ſ. Knallpulver, Schießpulver. Vielmehr iſt die Materie, ſo lang ſie ſich in der Miſchung des zerſetzten Koͤrpers befindet, noch nicht Luft, und ihr Uebergang in eine Luftart macht eine eigne Veraͤnderung ihrer Form oder ihres Zuſtands aus. So wie Feſtigkeit und Fluͤſſigkeit, wie Dampfgeſtalt und Tropſbarkeit, verſchiedene Zuſtaͤnde ſind, in welchen ſich eine und eben dieſelbe Subſtanz zeigen kan, ſo iſt auch Luftgeſtalt oder permanent-elaſtiſche Form ein bloßer Zuſtand der Materie, welchen dieſelbe annehmen oder verlaſſen kan, ohue daß ſich ihre Subſtanz aͤndert. So iſt es vielleicht ein und ebenderſelbe Stoff, der in ſeſter Geſtalt Eis, in trepfbarer Waſſer, in Dampfgeſtalt Waſſerdampf, in Luftgeſtalt dephlogiſtiſirte Luft genannt wird. Man findet alſo in der Miſchung der Koͤrper nicht Luft (aërem mixtionis), ſondern Stoffe, welche durch gewiſſe Bearbeitungen die Luftgeſtalt annehmen. Einige dieſer Stoffe kennt man freylich blos unter dem Namen der Luft. Man wird mich daher nicht falſch verſtehen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/34
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/34>, abgerufen am 18.04.2024.