Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.§ 17. Fortsetzung. Der stille Ozean. Eine ähnliche Behandlung wie die bisher besprochenen Völker von Holländern, Engländern, Spaniern und Portugiesen erfuhren die Kamtschadalen und Aleuten durch die Russen. Nach King (Cook 3te Reise 4, 171) wüthete der Russe Atlassof, der 1699 Kamtschatka zuerst entdeckt hatte, seit 1706 zum zweiten Male Befehlshaber daselbst, "um die Einwohner mit guter Art und durch friedliche Mittel zu gewinnen", in dem Lande so arg, dass seine eigenen Leute, die Kosaken, welche bis dahin friedlich mit den Kamtschadalen ausgekommen waren, gegen ihn einen Aufstand erhoben und sich in den Besitz der Halbinsel setzten. Dadurch ward es aber nicht besser, denn sie wütheten, einmal an Mord und Blut gewöhnt, von nun ab unter den Eingeborenen von Kamtschatka selbst. "Die Geschichte dieser Halbinsel von jenem Zeitpunkte an bis in das Jahr 1731 ist eine Reihe von Mordthaten, Empörungen und wilden blutigen Gefechten kleiner im ganzen Lande streifender Parteien." Damals nämlich erhoben sich die erbitterten Kamtschadalen, um ihr Land nicht immer weiter unterjocht werden zu lassen und um sich an ihren Peinigern zu rächen. Behring war zu jener Zeit da, welcher alle ihm entbehrlichen Truppen, mit Ausnahme kleiner Besatzungen in den Festungen des Landes, gegen die Tschuktschen schickte, denn bei der ausserordentlichen Klugheit, Verschwiegenheit und Energie der Kamtschadalen hatte weder er, noch irgend sonst ein Russe eine Ahndung von einer Verschwörung, welche über die ganze Halbinsel ausgebreitet war. Sie war sehr gut organisirt; von kleinen aufhaltenden Zwischenfällen z. B. waren in kürzester Frist alle Oberhäupter derselben benachrichtigt: und so gelang es denn, nach Behrings Abfahrt den Kamtschadalen, dass sie die Festungen rasch einnahmen, und alles was von Russen noch im Lande war (Weiber und Kinder mit eingeschlossen) niedermachten oder in die Gefangenschaft wegschleppten. Behring aber, durch widrige Winde an der Küste festgehalten, erfuhr das Geschehene, kehrte zurück und belagerte das Fort, wohin sich die Kamtschadalen auf Kunde seiner Rückkehr geworfen hatten; allein nicht eher konnte er es -- so tapfer war der Widerstand -- einnehmen, als bis es endlich durch einen Zufall in die Luft gesprengt wurde. Da nun die Kamtschadalen auch in einigen offenen Gefechten, die sehr blutig waren und sonst den kürzeren zogen, so mussten sie sich zum Frieden bequemen. Von da ab blieb alles ruhig, einzelne Aufstände abgerechnet -- welche ein deutliches Bild geben, wie die Russen sich gegen die durch jenen Aufstand gebrochenen Kamtschadalen betrugen. Wenn die Halbinsel, nach King, sich nach 1731 wieder so erholt haben soll (doch King selbst berichtet zweifelnd), dass sie später volkreicher war als früher, so ist dieser Nachricht kein Glauben zu schenken, oder sie bezieht sich auf die § 17. Fortsetzung. Der stille Ozean. Eine ähnliche Behandlung wie die bisher besprochenen Völker von Holländern, Engländern, Spaniern und Portugiesen erfuhren die Kamtschadalen und Aleuten durch die Russen. Nach King (Cook 3te Reise 4, 171) wüthete der Russe Atlassof, der 1699 Kamtschatka zuerst entdeckt hatte, seit 1706 zum zweiten Male Befehlshaber daselbst, »um die Einwohner mit guter Art und durch friedliche Mittel zu gewinnen«, in dem Lande so arg, dass seine eigenen Leute, die Kosaken, welche bis dahin friedlich mit den Kamtschadalen ausgekommen waren, gegen ihn einen Aufstand erhoben und sich in den Besitz der Halbinsel setzten. Dadurch ward es aber nicht besser, denn sie wütheten, einmal an Mord und Blut gewöhnt, von nun ab unter den Eingeborenen von Kamtschatka selbst. »Die Geschichte dieser Halbinsel von jenem Zeitpunkte an bis in das Jahr 1731 ist eine Reihe von Mordthaten, Empörungen und wilden blutigen Gefechten kleiner im ganzen Lande streifender Parteien.« Damals nämlich erhoben sich die erbitterten Kamtschadalen, um ihr Land nicht immer weiter unterjocht werden zu lassen und um sich an ihren Peinigern zu rächen. Behring war zu jener Zeit da, welcher alle ihm entbehrlichen Truppen, mit Ausnahme kleiner Besatzungen in den Festungen des Landes, gegen die Tschuktschen schickte, denn bei der ausserordentlichen Klugheit, Verschwiegenheit und Energie der Kamtschadalen hatte weder er, noch irgend sonst ein Russe eine Ahndung von einer Verschwörung, welche über die ganze Halbinsel ausgebreitet war. Sie war sehr gut organisirt; von kleinen aufhaltenden Zwischenfällen z. B. waren in kürzester Frist alle Oberhäupter derselben benachrichtigt: und so gelang es denn, nach Behrings Abfahrt den Kamtschadalen, dass sie die Festungen rasch einnahmen, und alles was von Russen noch im Lande war (Weiber und Kinder mit eingeschlossen) niedermachten oder in die Gefangenschaft wegschleppten. Behring aber, durch widrige Winde an der Küste festgehalten, erfuhr das Geschehene, kehrte zurück und belagerte das Fort, wohin sich die Kamtschadalen auf Kunde seiner Rückkehr geworfen hatten; allein nicht eher konnte er es — so tapfer war der Widerstand — einnehmen, als bis es endlich durch einen Zufall in die Luft gesprengt wurde. Da nun die Kamtschadalen auch in einigen offenen Gefechten, die sehr blutig waren und sonst den kürzeren zogen, so mussten sie sich zum Frieden bequemen. Von da ab blieb alles ruhig, einzelne Aufstände abgerechnet — welche ein deutliches Bild geben, wie die Russen sich gegen die durch jenen Aufstand gebrochenen Kamtschadalen betrugen. Wenn die Halbinsel, nach King, sich nach 1731 wieder so erholt haben soll (doch King selbst berichtet zweifelnd), dass sie später volkreicher war als früher, so ist dieser Nachricht kein Glauben zu schenken, oder sie bezieht sich auf die <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0120"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="1"> <head>§ 17. <hi rendition="#i">Fortsetzung. Der stille Ozean.</hi></head><lb/> <p>Eine ähnliche Behandlung wie die bisher besprochenen Völker von Holländern, Engländern, Spaniern und Portugiesen erfuhren die Kamtschadalen und Aleuten durch die Russen. Nach King (Cook 3te Reise 4, 171) wüthete der Russe Atlassof, der 1699 Kamtschatka zuerst entdeckt hatte, seit 1706 zum zweiten Male Befehlshaber daselbst, »um die Einwohner mit guter Art und durch friedliche Mittel zu gewinnen«, in dem Lande so arg, dass seine eigenen Leute, die Kosaken, welche bis dahin friedlich mit den Kamtschadalen ausgekommen waren, gegen ihn einen Aufstand erhoben und sich in den Besitz der Halbinsel setzten. Dadurch ward es aber nicht besser, denn sie wütheten, einmal an Mord und Blut gewöhnt, von nun ab unter den Eingeborenen von Kamtschatka selbst. »Die Geschichte dieser Halbinsel von jenem Zeitpunkte an bis in das Jahr 1731 ist eine Reihe von Mordthaten, Empörungen und wilden blutigen Gefechten kleiner im ganzen Lande streifender Parteien.« Damals nämlich erhoben sich die erbitterten Kamtschadalen, um ihr Land nicht immer weiter unterjocht werden zu lassen und um sich an ihren Peinigern zu rächen. Behring war zu jener Zeit da, welcher alle ihm entbehrlichen Truppen, mit Ausnahme kleiner Besatzungen in den Festungen des Landes, gegen die Tschuktschen schickte, denn bei der ausserordentlichen Klugheit, Verschwiegenheit und Energie der Kamtschadalen hatte weder er, noch irgend sonst ein Russe eine Ahndung von einer Verschwörung, welche über die ganze Halbinsel ausgebreitet war. Sie war sehr gut organisirt; von kleinen aufhaltenden Zwischenfällen z. B. waren in kürzester Frist alle Oberhäupter derselben benachrichtigt: und so gelang es denn, nach Behrings Abfahrt den Kamtschadalen, dass sie die Festungen rasch einnahmen, und alles was von Russen noch im Lande war (Weiber und Kinder mit eingeschlossen) niedermachten oder in die Gefangenschaft wegschleppten. Behring aber, durch widrige Winde an der Küste festgehalten, erfuhr das Geschehene, kehrte zurück und belagerte das Fort, wohin sich die Kamtschadalen auf Kunde seiner Rückkehr geworfen hatten; allein nicht eher konnte er es — so tapfer war der Widerstand — einnehmen, als bis es endlich durch einen Zufall in die Luft gesprengt wurde. Da nun die Kamtschadalen auch in einigen offenen Gefechten, die sehr blutig waren und sonst den kürzeren zogen, so mussten sie sich zum Frieden bequemen. Von da ab blieb alles ruhig, einzelne Aufstände abgerechnet — welche ein deutliches Bild geben, wie die Russen sich gegen die durch jenen Aufstand gebrochenen Kamtschadalen betrugen. Wenn die Halbinsel, nach King, sich nach 1731 wieder so erholt haben soll (doch King selbst berichtet zweifelnd), dass sie später volkreicher war als früher, so ist dieser Nachricht kein Glauben zu schenken, oder sie bezieht sich auf die </p> </div> </body> </text> </TEI> [0120]
§ 17. Fortsetzung. Der stille Ozean.
Eine ähnliche Behandlung wie die bisher besprochenen Völker von Holländern, Engländern, Spaniern und Portugiesen erfuhren die Kamtschadalen und Aleuten durch die Russen. Nach King (Cook 3te Reise 4, 171) wüthete der Russe Atlassof, der 1699 Kamtschatka zuerst entdeckt hatte, seit 1706 zum zweiten Male Befehlshaber daselbst, »um die Einwohner mit guter Art und durch friedliche Mittel zu gewinnen«, in dem Lande so arg, dass seine eigenen Leute, die Kosaken, welche bis dahin friedlich mit den Kamtschadalen ausgekommen waren, gegen ihn einen Aufstand erhoben und sich in den Besitz der Halbinsel setzten. Dadurch ward es aber nicht besser, denn sie wütheten, einmal an Mord und Blut gewöhnt, von nun ab unter den Eingeborenen von Kamtschatka selbst. »Die Geschichte dieser Halbinsel von jenem Zeitpunkte an bis in das Jahr 1731 ist eine Reihe von Mordthaten, Empörungen und wilden blutigen Gefechten kleiner im ganzen Lande streifender Parteien.« Damals nämlich erhoben sich die erbitterten Kamtschadalen, um ihr Land nicht immer weiter unterjocht werden zu lassen und um sich an ihren Peinigern zu rächen. Behring war zu jener Zeit da, welcher alle ihm entbehrlichen Truppen, mit Ausnahme kleiner Besatzungen in den Festungen des Landes, gegen die Tschuktschen schickte, denn bei der ausserordentlichen Klugheit, Verschwiegenheit und Energie der Kamtschadalen hatte weder er, noch irgend sonst ein Russe eine Ahndung von einer Verschwörung, welche über die ganze Halbinsel ausgebreitet war. Sie war sehr gut organisirt; von kleinen aufhaltenden Zwischenfällen z. B. waren in kürzester Frist alle Oberhäupter derselben benachrichtigt: und so gelang es denn, nach Behrings Abfahrt den Kamtschadalen, dass sie die Festungen rasch einnahmen, und alles was von Russen noch im Lande war (Weiber und Kinder mit eingeschlossen) niedermachten oder in die Gefangenschaft wegschleppten. Behring aber, durch widrige Winde an der Küste festgehalten, erfuhr das Geschehene, kehrte zurück und belagerte das Fort, wohin sich die Kamtschadalen auf Kunde seiner Rückkehr geworfen hatten; allein nicht eher konnte er es — so tapfer war der Widerstand — einnehmen, als bis es endlich durch einen Zufall in die Luft gesprengt wurde. Da nun die Kamtschadalen auch in einigen offenen Gefechten, die sehr blutig waren und sonst den kürzeren zogen, so mussten sie sich zum Frieden bequemen. Von da ab blieb alles ruhig, einzelne Aufstände abgerechnet — welche ein deutliches Bild geben, wie die Russen sich gegen die durch jenen Aufstand gebrochenen Kamtschadalen betrugen. Wenn die Halbinsel, nach King, sich nach 1731 wieder so erholt haben soll (doch King selbst berichtet zweifelnd), dass sie später volkreicher war als früher, so ist dieser Nachricht kein Glauben zu schenken, oder sie bezieht sich auf die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/120 |
Zitationshilfe: | Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/120>, abgerufen am 22.09.2023. |