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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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über ihr oft tödtliches Heimweh hinwegzubringen, bisweilen mit der Peitsche zum Tanz, der sie dann in seiner sie nun ganz beherrschenden Ausgelassenheit alles Unglück vergessen lässt (Waitz 2, 203). Diese rasch wechselnde Gemüthslage hilft ihnen über vieles Schwere hinweg und ist klar, wie sehr sie im Gegensatz steht ebenso zu dem zähen Festhalten eines Gedankens, wie wir es beim Amerikaner und Polynesier so vorherrschend finden, als zu der Melancholie dieser Völker. Auch die sinnlichen Genüsse wirken auf den Neger viel befriedigender, als auf die anderen Völker; seine grosse geschlechtliche Sinnlichkeit ist wiederum für die Fruchtbarkeit seiner Race von grosser Bedeutung und so massenhafte und übertriebene Ausschweifungen wie bei den Polynesiern finden sich bei ihnen nicht. Auch sein Hang zum Phantastischen muss erwähnt werden, denn auch er dient sehr dazu, ihm seine Lage oft in ganz anderem Lichte erscheinen zu lassen, als sie ist. Hiermit vereinigt sich eine gewisse Stumpfheit und Trägheit des geistigen Lebens sehr wohl, die vor Vielem und gerade dem Schmerzlichsten den Neger beschützt: er wird sich fast nie moralisch vernichtet und dadurch in seiner innersten Persönlichkeit verwundet fühlen. Auch ist seine grosse Gutmüthigkeit und seine innige Religiosität hierbei nicht ausser Acht zu lassen.

Zweitens aber scheint auch die physische Natur weit minder empfänglich und empfindlich zu sein, als die der meisten anderen Völker. Sei es, dass er durch allmähliche Gewöhnung, durch das Klima seines Landes oder durch ursprüngliche Anlage härter ist: er verträgt es, in ganz andere Himmelsstriche verpflanzt zu werden; er hält sogar die Luft der Malariagegenden und noch dazu bei täglicher oft sehr grosser Anstrengung ohne Schaden aus, welchem allen die meisten anderen Völker regelmässig erliegen. Er ist also schon durch seinen Körper gesicherter.

Drittens ist nicht zu übersehen, dass der Neger schon seit einer Reihe von Jahrtausenden, seit der ersten Entwickelung der Kulturvölker, mit diesen in Berührung und oft in sehr enger steht und gestanden hat: so ist er an die Einflüsse der Kultur ganz anders gewöhnt als Amerikaner und Ozeanier, als Hottentotten und Kamtschadalen, und hat daher ihre ungünstigen Folgen weit weniger zu fürchten.

Hiermit ist der Einwand, welchen man von den Negern aus erheben könnte, als beseitigt zu betrachten; wir müssen indess noch einen Blick auf das Aussterben der freigewordenen Neger in den vereinigten Staaten werfen, wie wir es im Ausland (1867, 1404) geschildert sehen nach Henry Lathams black and white. Nach ihm sind seit der Emancipation von 4,000,000 Negern 1,000,000 zu Grunde gegangen, durch Unwissenheit, Hülflosigkeit, Laster und Mangel. Unfruchtbarkeit trat ein, Kindermord nahm überhand, "die Sterblichkeit war so gross, dass es Leute gab, welche eine Lösung

über ihr oft tödtliches Heimweh hinwegzubringen, bisweilen mit der Peitsche zum Tanz, der sie dann in seiner sie nun ganz beherrschenden Ausgelassenheit alles Unglück vergessen lässt (Waitz 2, 203). Diese rasch wechselnde Gemüthslage hilft ihnen über vieles Schwere hinweg und ist klar, wie sehr sie im Gegensatz steht ebenso zu dem zähen Festhalten eines Gedankens, wie wir es beim Amerikaner und Polynesier so vorherrschend finden, als zu der Melancholie dieser Völker. Auch die sinnlichen Genüsse wirken auf den Neger viel befriedigender, als auf die anderen Völker; seine grosse geschlechtliche Sinnlichkeit ist wiederum für die Fruchtbarkeit seiner Raçe von grosser Bedeutung und so massenhafte und übertriebene Ausschweifungen wie bei den Polynesiern finden sich bei ihnen nicht. Auch sein Hang zum Phantastischen muss erwähnt werden, denn auch er dient sehr dazu, ihm seine Lage oft in ganz anderem Lichte erscheinen zu lassen, als sie ist. Hiermit vereinigt sich eine gewisse Stumpfheit und Trägheit des geistigen Lebens sehr wohl, die vor Vielem und gerade dem Schmerzlichsten den Neger beschützt: er wird sich fast nie moralisch vernichtet und dadurch in seiner innersten Persönlichkeit verwundet fühlen. Auch ist seine grosse Gutmüthigkeit und seine innige Religiosität hierbei nicht ausser Acht zu lassen.

Zweitens aber scheint auch die physische Natur weit minder empfänglich und empfindlich zu sein, als die der meisten anderen Völker. Sei es, dass er durch allmähliche Gewöhnung, durch das Klima seines Landes oder durch ursprüngliche Anlage härter ist: er verträgt es, in ganz andere Himmelsstriche verpflanzt zu werden; er hält sogar die Luft der Malariagegenden und noch dazu bei täglicher oft sehr grosser Anstrengung ohne Schaden aus, welchem allen die meisten anderen Völker regelmässig erliegen. Er ist also schon durch seinen Körper gesicherter.

Drittens ist nicht zu übersehen, dass der Neger schon seit einer Reihe von Jahrtausenden, seit der ersten Entwickelung der Kulturvölker, mit diesen in Berührung und oft in sehr enger steht und gestanden hat: so ist er an die Einflüsse der Kultur ganz anders gewöhnt als Amerikaner und Ozeanier, als Hottentotten und Kamtschadalen, und hat daher ihre ungünstigen Folgen weit weniger zu fürchten.

Hiermit ist der Einwand, welchen man von den Negern aus erheben könnte, als beseitigt zu betrachten; wir müssen indess noch einen Blick auf das Aussterben der freigewordenen Neger in den vereinigten Staaten werfen, wie wir es im Ausland (1867, 1404) geschildert sehen nach Henry Lathams black and white. Nach ihm sind seit der Emancipation von 4,000,000 Negern 1,000,000 zu Grunde gegangen, durch Unwissenheit, Hülflosigkeit, Laster und Mangel. Unfruchtbarkeit trat ein, Kindermord nahm überhand, »die Sterblichkeit war so gross, dass es Leute gab, welche eine Lösung

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 oft tödtliches Heimweh hinwegzubringen, bisweilen mit der
 Peitsche zum Tanz, der sie dann in seiner sie nun ganz
 beherrschenden Ausgelassenheit alles Unglück vergessen
 lässt (Waitz 2, 203). Diese rasch wechselnde Gemüthslage
 hilft ihnen über vieles Schwere hinweg und ist klar, wie sehr
 sie im Gegensatz steht ebenso zu dem zähen Festhalten eines
 Gedankens, wie wir es beim Amerikaner und Polynesier so
 vorherrschend finden, als zu der Melancholie dieser Völker.
 Auch die sinnlichen Genüsse wirken auf den Neger viel
 befriedigender, als auf die anderen Völker; seine grosse
 geschlechtliche Sinnlichkeit ist wiederum für die
 Fruchtbarkeit seiner Raçe von grosser Bedeutung und so
 massenhafte und übertriebene Ausschweifungen wie bei den
 Polynesiern finden sich bei ihnen nicht. Auch sein Hang zum
 Phantastischen muss erwähnt werden, denn auch er dient sehr
 dazu, ihm seine Lage oft in ganz anderem Lichte erscheinen zu
 lassen, als sie ist. Hiermit vereinigt sich eine gewisse Stumpfheit
 und Trägheit des geistigen Lebens sehr wohl, die vor Vielem
 und gerade dem Schmerzlichsten den Neger beschützt: er wird
 sich fast nie moralisch vernichtet und dadurch in seiner innersten
 Persönlichkeit verwundet fühlen. Auch ist seine grosse
 Gutmüthigkeit und seine innige Religiosität hierbei nicht
 ausser Acht zu lassen.</p>
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 empfänglich und empfindlich zu sein, als die der meisten
 anderen Völker. Sei es, dass er durch allmähliche
 Gewöhnung, durch das Klima seines Landes oder durch
 ursprüngliche Anlage härter ist: er verträgt es, in
 ganz andere Himmelsstriche verpflanzt zu werden; er hält sogar
 die Luft der Malariagegenden und noch dazu bei täglicher oft
 sehr grosser Anstrengung ohne Schaden aus, welchem allen die
 meisten anderen Völker regelmässig erliegen. Er ist also
 schon durch seinen Körper gesicherter.</p>
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 einer Reihe von Jahrtausenden, seit der ersten Entwickelung der
 Kulturvölker, mit diesen in Berührung und oft in sehr
 enger steht und gestanden hat: so ist er an die Einflüsse der
 Kultur ganz anders gewöhnt als Amerikaner und Ozeanier, als
 Hottentotten und Kamtschadalen, und hat daher ihre ungünstigen
 Folgen weit weniger zu fürchten.</p>
        <p>Hiermit ist der Einwand, welchen man von den Negern aus erheben
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 noch einen Blick auf das Aussterben der freigewordenen Neger in den
 vereinigten Staaten werfen, wie wir es im Ausland (1867, 1404)
 geschildert sehen nach Henry Lathams black and white. Nach ihm sind
 seit der Emancipation von 4,000,000 Negern 1,000,000 zu Grunde
 gegangen, durch Unwissenheit, Hülflosigkeit, Laster und
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[0145] über ihr oft tödtliches Heimweh hinwegzubringen, bisweilen mit der Peitsche zum Tanz, der sie dann in seiner sie nun ganz beherrschenden Ausgelassenheit alles Unglück vergessen lässt (Waitz 2, 203). Diese rasch wechselnde Gemüthslage hilft ihnen über vieles Schwere hinweg und ist klar, wie sehr sie im Gegensatz steht ebenso zu dem zähen Festhalten eines Gedankens, wie wir es beim Amerikaner und Polynesier so vorherrschend finden, als zu der Melancholie dieser Völker. Auch die sinnlichen Genüsse wirken auf den Neger viel befriedigender, als auf die anderen Völker; seine grosse geschlechtliche Sinnlichkeit ist wiederum für die Fruchtbarkeit seiner Raçe von grosser Bedeutung und so massenhafte und übertriebene Ausschweifungen wie bei den Polynesiern finden sich bei ihnen nicht. Auch sein Hang zum Phantastischen muss erwähnt werden, denn auch er dient sehr dazu, ihm seine Lage oft in ganz anderem Lichte erscheinen zu lassen, als sie ist. Hiermit vereinigt sich eine gewisse Stumpfheit und Trägheit des geistigen Lebens sehr wohl, die vor Vielem und gerade dem Schmerzlichsten den Neger beschützt: er wird sich fast nie moralisch vernichtet und dadurch in seiner innersten Persönlichkeit verwundet fühlen. Auch ist seine grosse Gutmüthigkeit und seine innige Religiosität hierbei nicht ausser Acht zu lassen. Zweitens aber scheint auch die physische Natur weit minder empfänglich und empfindlich zu sein, als die der meisten anderen Völker. Sei es, dass er durch allmähliche Gewöhnung, durch das Klima seines Landes oder durch ursprüngliche Anlage härter ist: er verträgt es, in ganz andere Himmelsstriche verpflanzt zu werden; er hält sogar die Luft der Malariagegenden und noch dazu bei täglicher oft sehr grosser Anstrengung ohne Schaden aus, welchem allen die meisten anderen Völker regelmässig erliegen. Er ist also schon durch seinen Körper gesicherter. Drittens ist nicht zu übersehen, dass der Neger schon seit einer Reihe von Jahrtausenden, seit der ersten Entwickelung der Kulturvölker, mit diesen in Berührung und oft in sehr enger steht und gestanden hat: so ist er an die Einflüsse der Kultur ganz anders gewöhnt als Amerikaner und Ozeanier, als Hottentotten und Kamtschadalen, und hat daher ihre ungünstigen Folgen weit weniger zu fürchten. Hiermit ist der Einwand, welchen man von den Negern aus erheben könnte, als beseitigt zu betrachten; wir müssen indess noch einen Blick auf das Aussterben der freigewordenen Neger in den vereinigten Staaten werfen, wie wir es im Ausland (1867, 1404) geschildert sehen nach Henry Lathams black and white. Nach ihm sind seit der Emancipation von 4,000,000 Negern 1,000,000 zu Grunde gegangen, durch Unwissenheit, Hülflosigkeit, Laster und Mangel. Unfruchtbarkeit trat ein, Kindermord nahm überhand, »die Sterblichkeit war so gross, dass es Leute gab, welche eine Lösung

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/145>, abgerufen am 16.04.2024.