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Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768.

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Ugolino,
Ugolino. So ists.
Anselmo. Jch bedaure sie von Herzen.
Ugolino. Gott wird dich wieder bedauern, mein Geliebter.
Anselmo. Und den kranken Gaddo.
Ugolino. Uns alle.
Anselmo. Dich? Und ein Gott müßt es nur seyn, der
dich bedauerte. Von der Welt braucht ein so großer Mann,
wie du, nicht bedauert zu werden. Meine Mutter hat mir
oft gesagt, daß du ein sehr großer Mann bist; jedermann sagt
es. Wenn ich ein Mann wäre, ich will nicht träumen, ein
großer Mann: denn was habe ich, ich Pflanze! gethan, daß ich
ein Mann seyn könnte, wie du? aber wenn ich ein Mann wäre,
Niemand sollte mich bedauern.
Ugolino. Wie das?
Anselmo. Doch itzt besinne ich mich: ich müßte auch ein
freyer Mann seyn; nicht im finstern Thurm eingesperrt sitzen;
frey müßt ich seyn; frey meine Hand, (sie würde dann Nerve
haben;) frey dieser Arm -- ha!
Ugolino. Du schweigst? du glühst? Rede weiter, mein
Sohn Anselmo.
Anselmo. Mein Vater! (seinen Arm um seinen Vater schlingend)
Großer Mann! schäme dich meiner nicht, daß ich erröthe! Ah,
Gherardesca, nenne mich noch einmal deinen Sohn Anselmo!
Ugolino. Mein geliebter, mein edler Sohn Anselmo! Mein
männlicher Sohn Anselmo!
Anselmo. (auf- und abgehend) Jch bin nur dreizehn Jahre
alt: aber Ugolino Gherardesca hat mich seinen Sohn genannt.
Männlicher Sohn ist zu viel: aber genug, Gherardesca hat mich
seinen Sohn genannt! Zittre du, o du, den ich itzt denke, zittre
vor dem Sohne Gherardescas, wenn er ein Mann seyn wird!
Ugolino. Welch großer Gedanke drängt sich, und keimt
auf in deiner zarten Seele? Bewundernswürdig!

An-
Ugolino,
Ugolino. So iſts.
Anſelmo. Jch bedaure ſie von Herzen.
Ugolino. Gott wird dich wieder bedauern, mein Geliebter.
Anſelmo. Und den kranken Gaddo.
Ugolino. Uns alle.
Anſelmo. Dich? Und ein Gott muͤßt es nur ſeyn, der
dich bedauerte. Von der Welt braucht ein ſo großer Mann,
wie du, nicht bedauert zu werden. Meine Mutter hat mir
oft geſagt, daß du ein ſehr großer Mann biſt; jedermann ſagt
es. Wenn ich ein Mann waͤre, ich will nicht traͤumen, ein
großer Mann: denn was habe ich, ich Pflanze! gethan, daß ich
ein Mann ſeyn koͤnnte, wie du? aber wenn ich ein Mann waͤre,
Niemand ſollte mich bedauern.
Ugolino. Wie das?
Anſelmo. Doch itzt beſinne ich mich: ich muͤßte auch ein
freyer Mann ſeyn; nicht im finſtern Thurm eingeſperrt ſitzen;
frey muͤßt ich ſeyn; frey meine Hand, (ſie wuͤrde dann Nerve
haben;) frey dieſer Arm — ha!
Ugolino. Du ſchweigſt? du gluͤhſt? Rede weiter, mein
Sohn Anſelmo.
Anſelmo. Mein Vater! (ſeinen Arm um ſeinen Vater ſchlingend)
Großer Mann! ſchaͤme dich meiner nicht, daß ich erroͤthe! Ah,
Gherardeſca, nenne mich noch einmal deinen Sohn Anſelmo!
Ugolino. Mein geliebter, mein edler Sohn Anſelmo! Mein
maͤnnlicher Sohn Anſelmo!
Anſelmo. (auf- und abgehend) Jch bin nur dreizehn Jahre
alt: aber Ugolino Gherardeſca hat mich ſeinen Sohn genannt.
Maͤnnlicher Sohn iſt zu viel: aber genug, Gherardeſca hat mich
ſeinen Sohn genannt! Zittre du, o du, den ich itzt denke, zittre
vor dem Sohne Gherardeſcas, wenn er ein Mann ſeyn wird!
Ugolino. Welch großer Gedanke draͤngt ſich, und keimt
auf in deiner zarten Seele? Bewundernswuͤrdig!

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[4/0010] Ugolino, Ugolino. So iſts. Anſelmo. Jch bedaure ſie von Herzen. Ugolino. Gott wird dich wieder bedauern, mein Geliebter. Anſelmo. Und den kranken Gaddo. Ugolino. Uns alle. Anſelmo. Dich? Und ein Gott muͤßt es nur ſeyn, der dich bedauerte. Von der Welt braucht ein ſo großer Mann, wie du, nicht bedauert zu werden. Meine Mutter hat mir oft geſagt, daß du ein ſehr großer Mann biſt; jedermann ſagt es. Wenn ich ein Mann waͤre, ich will nicht traͤumen, ein großer Mann: denn was habe ich, ich Pflanze! gethan, daß ich ein Mann ſeyn koͤnnte, wie du? aber wenn ich ein Mann waͤre, Niemand ſollte mich bedauern. Ugolino. Wie das? Anſelmo. Doch itzt beſinne ich mich: ich muͤßte auch ein freyer Mann ſeyn; nicht im finſtern Thurm eingeſperrt ſitzen; frey muͤßt ich ſeyn; frey meine Hand, (ſie wuͤrde dann Nerve haben;) frey dieſer Arm — ha! Ugolino. Du ſchweigſt? du gluͤhſt? Rede weiter, mein Sohn Anſelmo. Anſelmo. Mein Vater! (ſeinen Arm um ſeinen Vater ſchlingend) Großer Mann! ſchaͤme dich meiner nicht, daß ich erroͤthe! Ah, Gherardeſca, nenne mich noch einmal deinen Sohn Anſelmo! Ugolino. Mein geliebter, mein edler Sohn Anſelmo! Mein maͤnnlicher Sohn Anſelmo! Anſelmo. (auf- und abgehend) Jch bin nur dreizehn Jahre alt: aber Ugolino Gherardeſca hat mich ſeinen Sohn genannt. Maͤnnlicher Sohn iſt zu viel: aber genug, Gherardeſca hat mich ſeinen Sohn genannt! Zittre du, o du, den ich itzt denke, zittre vor dem Sohne Gherardeſcas, wenn er ein Mann ſeyn wird! Ugolino. Welch großer Gedanke draͤngt ſich, und keimt auf in deiner zarten Seele? Bewundernswuͤrdig! An-

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Zitationshilfe: Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768/10>, abgerufen am 29.03.2024.