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Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826.

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seinen Schülern wichtig sein. Jn rascher Bildung
mit Sachen überfüllt, die er noch nicht zu sondern
weiß, vom wirklichen Leben entfremdet, hat er am
meisten Lust an der Beschäftigung, die, indem er
etwas für andere thut, zugleich ihn selbst auf der
errungenen Höhe erhält und fördert. Dabei hat er
jugendlich an die unbegränzte Kraft des Guten und
Schönen, welches er seinen Schülern bietet und ihm
ja von seinen Lehrern überliefert ist, einen ungeprüf-
ten, stolzen Glauben. -- Die entgegengesetzte Mei-
nung ist sehr genug ausgesprochen, nicht allein von
England her sondern auch in Frankreich, Dänemark,
Schweden, Rußland. Sie will das Lehren fast ganz
dem abnehmen, der die Schule hält, und in so fern
er es zu thun hat, heißt sie ihn es vor der Schul-
zeit abmachen. Jn dieser soll ein Schüler den andern
unterrichten, der Lehrer aber, die Aufsicht führend,
Ordnung und Thätigkeit unterhalten und die pünkt-
lichste Befolgung fester Gesetze, die ihm sein Geschäft
so genau vorschreiben wie einem jeden Mitgliede der
Schule. Dabei sollen selbst die zur Arbeit nöthigen
Bewegungen des Körpers so mit bestimmten Regeln
umzogen werden, daß auch nicht die geringste Will-
kühr Raum behält.

Vergleichen wir diese beiden Ansichten, so beruht
ihre gegenseitige Abweichung nicht wie in den frü-
heren auf einer verschiedenen Beurtheilung der Per-
sonen, sondern in der verschiedenen Würdigung der
Geschäfte der Schule. Die deutsche Ansicht will diese
Geschäfte vergeistigen; so soll der Lehrer nur mit sei-
ner Liebe und seinen Kenntnissen wirken, die Schüler

ſeinen Schuͤlern wichtig ſein. Jn raſcher Bildung
mit Sachen uͤberfuͤllt, die er noch nicht zu ſondern
weiß, vom wirklichen Leben entfremdet, hat er am
meiſten Luſt an der Beſchaͤftigung, die, indem er
etwas fuͤr andere thut, zugleich ihn ſelbſt auf der
errungenen Hoͤhe erhaͤlt und foͤrdert. Dabei hat er
jugendlich an die unbegraͤnzte Kraft des Guten und
Schoͤnen, welches er ſeinen Schuͤlern bietet und ihm
ja von ſeinen Lehrern uͤberliefert iſt, einen ungepruͤf-
ten, ſtolzen Glauben. — Die entgegengeſetzte Mei-
nung iſt ſehr genug ausgeſprochen, nicht allein von
England her ſondern auch in Frankreich, Daͤnemark,
Schweden, Rußland. Sie will das Lehren faſt ganz
dem abnehmen, der die Schule haͤlt, und in ſo fern
er es zu thun hat, heißt ſie ihn es vor der Schul-
zeit abmachen. Jn dieſer ſoll ein Schuͤler den andern
unterrichten, der Lehrer aber, die Aufſicht fuͤhrend,
Ordnung und Thaͤtigkeit unterhalten und die puͤnkt-
lichſte Befolgung feſter Geſetze, die ihm ſein Geſchaͤft
ſo genau vorſchreiben wie einem jeden Mitgliede der
Schule. Dabei ſollen ſelbſt die zur Arbeit noͤthigen
Bewegungen des Koͤrpers ſo mit beſtimmten Regeln
umzogen werden, daß auch nicht die geringſte Will-
kuͤhr Raum behaͤlt.

Vergleichen wir dieſe beiden Anſichten, ſo beruht
ihre gegenſeitige Abweichung nicht wie in den fruͤ-
heren auf einer verſchiedenen Beurtheilung der Per-
ſonen, ſondern in der verſchiedenen Wuͤrdigung der
Geſchaͤfte der Schule. Die deutſche Anſicht will dieſe
Geſchaͤfte vergeiſtigen; ſo ſoll der Lehrer nur mit ſei-
ner Liebe und ſeinen Kenntniſſen wirken, die Schuͤler

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[5/0013] ſeinen Schuͤlern wichtig ſein. Jn raſcher Bildung mit Sachen uͤberfuͤllt, die er noch nicht zu ſondern weiß, vom wirklichen Leben entfremdet, hat er am meiſten Luſt an der Beſchaͤftigung, die, indem er etwas fuͤr andere thut, zugleich ihn ſelbſt auf der errungenen Hoͤhe erhaͤlt und foͤrdert. Dabei hat er jugendlich an die unbegraͤnzte Kraft des Guten und Schoͤnen, welches er ſeinen Schuͤlern bietet und ihm ja von ſeinen Lehrern uͤberliefert iſt, einen ungepruͤf- ten, ſtolzen Glauben. — Die entgegengeſetzte Mei- nung iſt ſehr genug ausgeſprochen, nicht allein von England her ſondern auch in Frankreich, Daͤnemark, Schweden, Rußland. Sie will das Lehren faſt ganz dem abnehmen, der die Schule haͤlt, und in ſo fern er es zu thun hat, heißt ſie ihn es vor der Schul- zeit abmachen. Jn dieſer ſoll ein Schuͤler den andern unterrichten, der Lehrer aber, die Aufſicht fuͤhrend, Ordnung und Thaͤtigkeit unterhalten und die puͤnkt- lichſte Befolgung feſter Geſetze, die ihm ſein Geſchaͤft ſo genau vorſchreiben wie einem jeden Mitgliede der Schule. Dabei ſollen ſelbſt die zur Arbeit noͤthigen Bewegungen des Koͤrpers ſo mit beſtimmten Regeln umzogen werden, daß auch nicht die geringſte Will- kuͤhr Raum behaͤlt. Vergleichen wir dieſe beiden Anſichten, ſo beruht ihre gegenſeitige Abweichung nicht wie in den fruͤ- heren auf einer verſchiedenen Beurtheilung der Per- ſonen, ſondern in der verſchiedenen Wuͤrdigung der Geſchaͤfte der Schule. Die deutſche Anſicht will dieſe Geſchaͤfte vergeiſtigen; ſo ſoll der Lehrer nur mit ſei- ner Liebe und ſeinen Kenntniſſen wirken, die Schuͤler

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Zitationshilfe: Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessert_schulzucht_1826/13>, abgerufen am 18.04.2024.