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Gizycki, Lily von: Die Bürgerpflicht der Frau. Berlin, 1895.

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Frauen des Landes, dessen glänzendste geschichtliche Epochen
mit dem Namen Zeitalter der Elisabeth, Zeitalter der Victoria
bezeichnet werden, das Recht, eine politische Meinung zu haben,
absprechen wollten. Schon seit Jahrzehnten kämpfen die Frauen
in England um das Stimmrecht, und mit Ausnahme des Stimm-
rechtes für die Parlamentswahlen haben sie es überall errungen.
Sie besitzen nicht nur das aktive und passive Wahlrecht für den
Aufsichtsrat der Schulen und für die Armenpfleger, sie haben
auch das Stimmrecht für Kommunal- und Gemeindewahlen und
für die County Councils, die eine gesetzgebende Körperschaft,
ähnlich unseren Provinzial-Landtagen sind. Es ist Aussicht
vorhanden, daß sie in nicht zu ferner Zeit auch zur Wahlurne
für die Parlamentswahlen zugelassen werden. Bei den letzten
Verhandlungen über eine darauf bezügliche Petition stellte es
sich heraus, daß die Stimmen zu Gunsten der Forderung von
Jahr zu Jahr zugenommen haben.

Aus den Kämpfen für und wider das Stimmrecht der
Frauen ist eine Thatsache als besonders interessant zu verzeichnen:
Eine große Anzahl vornehmer Damen erließ in der Londoner
Monatsschrift "Nineteenth Century" einen Protest gegen das
Frauenstimmrecht. Als Antwort darauf unterzeichneten 2000
Frauen aller Stände einen Aufruf dafür, der in der "Fort-
nightly Review
" erschien. Es fand sich, daß diese 2000 Frauen
ihr Leben mit einem Berufe ausfüllen, während die Protest-
lerinnen lauter nichtsthuende Damen sind. Der Aufruf be-
ginnt daher ganz richtig mit der Erklärung, daß diesen Anti-
Stimmrechtlerinnen, welche keine ernste Sorge haben, unmöglich
das Recht zugestanden werden könne, über das Schicksal derer,
die um ihre Existenz kämpfen müssen, zu entscheiden.

Jn der englischen Kolonie Neu-Seeland, die ein selbständiges
Parlament hat, ist den Frauen am 19. September 1894 das
Stimmrecht verliehen worden. Dieser Sieg ist hauptsächlich der
unermüdlichen Thätigkeit der Temperenz-Union zu verdanken.
Die Leiterinnen dieser über die ganze Erde verbreiteten Gesell-
schaft haben längst eingesehen, daß das Laster der Trunksucht
nicht durch Verbote und Einschränkung der Schank-Konzessionen

Frauen des Landes, dessen glänzendste geschichtliche Epochen
mit dem Namen Zeitalter der Elisabeth, Zeitalter der Victoria
bezeichnet werden, das Recht, eine politische Meinung zu haben,
absprechen wollten. Schon seit Jahrzehnten kämpfen die Frauen
in England um das Stimmrecht, und mit Ausnahme des Stimm-
rechtes für die Parlamentswahlen haben sie es überall errungen.
Sie besitzen nicht nur das aktive und passive Wahlrecht für den
Aufsichtsrat der Schulen und für die Armenpfleger, sie haben
auch das Stimmrecht für Kommunal- und Gemeindewahlen und
für die County Councils, die eine gesetzgebende Körperschaft,
ähnlich unseren Provinzial-Landtagen sind. Es ist Aussicht
vorhanden, daß sie in nicht zu ferner Zeit auch zur Wahlurne
für die Parlamentswahlen zugelassen werden. Bei den letzten
Verhandlungen über eine darauf bezügliche Petition stellte es
sich heraus, daß die Stimmen zu Gunsten der Forderung von
Jahr zu Jahr zugenommen haben.

Aus den Kämpfen für und wider das Stimmrecht der
Frauen ist eine Thatsache als besonders interessant zu verzeichnen:
Eine große Anzahl vornehmer Damen erließ in der Londoner
Monatsschrift „Nineteenth Century‟ einen Protest gegen das
Frauenstimmrecht. Als Antwort darauf unterzeichneten 2000
Frauen aller Stände einen Aufruf dafür, der in der „Fort-
nightly Review
‟ erschien. Es fand sich, daß diese 2000 Frauen
ihr Leben mit einem Berufe ausfüllen, während die Protest-
lerinnen lauter nichtsthuende Damen sind. Der Aufruf be-
ginnt daher ganz richtig mit der Erklärung, daß diesen Anti-
Stimmrechtlerinnen, welche keine ernste Sorge haben, unmöglich
das Recht zugestanden werden könne, über das Schicksal derer,
die um ihre Existenz kämpfen müssen, zu entscheiden.

Jn der englischen Kolonie Neu-Seeland, die ein selbständiges
Parlament hat, ist den Frauen am 19. September 1894 das
Stimmrecht verliehen worden. Dieser Sieg ist hauptsächlich der
unermüdlichen Thätigkeit der Temperenz-Union zu verdanken.
Die Leiterinnen dieser über die ganze Erde verbreiteten Gesell-
schaft haben längst eingesehen, daß das Laster der Trunksucht
nicht durch Verbote und Einschränkung der Schank-Konzessionen

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[14/0015] Frauen des Landes, dessen glänzendste geschichtliche Epochen mit dem Namen Zeitalter der Elisabeth, Zeitalter der Victoria bezeichnet werden, das Recht, eine politische Meinung zu haben, absprechen wollten. Schon seit Jahrzehnten kämpfen die Frauen in England um das Stimmrecht, und mit Ausnahme des Stimm- rechtes für die Parlamentswahlen haben sie es überall errungen. Sie besitzen nicht nur das aktive und passive Wahlrecht für den Aufsichtsrat der Schulen und für die Armenpfleger, sie haben auch das Stimmrecht für Kommunal- und Gemeindewahlen und für die County Councils, die eine gesetzgebende Körperschaft, ähnlich unseren Provinzial-Landtagen sind. Es ist Aussicht vorhanden, daß sie in nicht zu ferner Zeit auch zur Wahlurne für die Parlamentswahlen zugelassen werden. Bei den letzten Verhandlungen über eine darauf bezügliche Petition stellte es sich heraus, daß die Stimmen zu Gunsten der Forderung von Jahr zu Jahr zugenommen haben. Aus den Kämpfen für und wider das Stimmrecht der Frauen ist eine Thatsache als besonders interessant zu verzeichnen: Eine große Anzahl vornehmer Damen erließ in der Londoner Monatsschrift „Nineteenth Century‟ einen Protest gegen das Frauenstimmrecht. Als Antwort darauf unterzeichneten 2000 Frauen aller Stände einen Aufruf dafür, der in der „Fort- nightly Review‟ erschien. Es fand sich, daß diese 2000 Frauen ihr Leben mit einem Berufe ausfüllen, während die Protest- lerinnen lauter nichtsthuende Damen sind. Der Aufruf be- ginnt daher ganz richtig mit der Erklärung, daß diesen Anti- Stimmrechtlerinnen, welche keine ernste Sorge haben, unmöglich das Recht zugestanden werden könne, über das Schicksal derer, die um ihre Existenz kämpfen müssen, zu entscheiden. Jn der englischen Kolonie Neu-Seeland, die ein selbständiges Parlament hat, ist den Frauen am 19. September 1894 das Stimmrecht verliehen worden. Dieser Sieg ist hauptsächlich der unermüdlichen Thätigkeit der Temperenz-Union zu verdanken. Die Leiterinnen dieser über die ganze Erde verbreiteten Gesell- schaft haben längst eingesehen, daß das Laster der Trunksucht nicht durch Verbote und Einschränkung der Schank-Konzessionen

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Zitationshilfe: Gizycki, Lily von: Die Bürgerpflicht der Frau. Berlin, 1895, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gizycki_buergerpflicht_1895/15>, abgerufen am 23.04.2024.