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Gizycki, Lily von: Die Bürgerpflicht der Frau. Berlin, 1895.

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aus der Welt geschafft wird. Es gilt die ganze soziale Lage der
arbeitenden Bevölkerung zu heben, wenn "König Alkohol" be-
siegt werden soll. Jn diesem Sinne arbeiten die Temperenz-
lerinnen und haben die Forderung des Frauenstimmrechts in ihr
Programm aufgenommen. Sie können eben nur dann wirksam
vorgehen, wenn sie an den Gesetzen des Landes mitarbeiten. --
John Hall, der frühere Gouverneur von Neu-Seeland und ein
eifriger Vorkämpfer der Forderung der Frauen, sprach sich über
die erste, im Dezember vorigen Jahres stattgefundene Ausübung
des Wahlrechtes seitens der Frauen auf das günstigste aus.
Der jetzige Gouverneur stand nicht an, einer Deputation von
Frauen zu erklären, daß die Wählbarkeit der Frauen nur eine
Folge ihres aktiven Wahlrechtes sein würde und ihnen gewährt
werden müsse, sobald sie selbst sich reif dazu fühlen. Aber die
englischen Frauen geben sich weder mit den ihnen zugestandenen,
noch mit den ihnen in Aussicht stehenden Rechten zufrieden. Um
dies zu verstehen, müssen wir uns vergegenwärtigen, daß das
englische Parlaments-Wahlrecht auch in Bezug aus die Männer
ein beschränktes ist. Jn diesem einen Punkt haben wir Deutschen
durch unser Reichstags-Wahlgesetz die freiheitlichen Engländer
übertroffen: bei uns hat jeder Fünfundzwanzigjährige das Recht
zu wählen -- sofern er ein Mann ist, natürlich; in England
hängt die Berechtigung zur Wahl von der Steuerpflicht ab.
"Keine Repräsentierung ohne Besteuerung" und "keine Besteue-
rung ohne Repräsentierung" lautet der Grundsatz dieses Wahl-
rechtes, auf den gestützt auch nur die steuerzahlenden Frauen,
also die Unverheirateten und die Wittwen, zur Wahlurne zuge-
lassen werden können.

Lady Dilke, eine der Frauen Englands, deren Namen im
politischen Leben einen guten Klang hat, erklärte auf dem inter-
nationalen Frauenkongreß im Jahre 1888, daß während der
Regierungszeit der Königin Viktoria die Demokratisierung des
Wahlrechts stetig fortgeschritten sei, daß aber trotzdem eine große
Anzahl Männer das Stimmrecht nicht besäßen und gerade diese
Männer, also der ärmste Teil der Bevölkerung, es seien, welche
am energischsten für das Stimmrecht der Frauen einträten. "Und

aus der Welt geschafft wird. Es gilt die ganze soziale Lage der
arbeitenden Bevölkerung zu heben, wenn „König Alkohol‟ be-
siegt werden soll. Jn diesem Sinne arbeiten die Temperenz-
lerinnen und haben die Forderung des Frauenstimmrechts in ihr
Programm aufgenommen. Sie können eben nur dann wirksam
vorgehen, wenn sie an den Gesetzen des Landes mitarbeiten. —
John Hall, der frühere Gouverneur von Neu-Seeland und ein
eifriger Vorkämpfer der Forderung der Frauen, sprach sich über
die erste, im Dezember vorigen Jahres stattgefundene Ausübung
des Wahlrechtes seitens der Frauen auf das günstigste aus.
Der jetzige Gouverneur stand nicht an, einer Deputation von
Frauen zu erklären, daß die Wählbarkeit der Frauen nur eine
Folge ihres aktiven Wahlrechtes sein würde und ihnen gewährt
werden müsse, sobald sie selbst sich reif dazu fühlen. Aber die
englischen Frauen geben sich weder mit den ihnen zugestandenen,
noch mit den ihnen in Aussicht stehenden Rechten zufrieden. Um
dies zu verstehen, müssen wir uns vergegenwärtigen, daß das
englische Parlaments-Wahlrecht auch in Bezug aus die Männer
ein beschränktes ist. Jn diesem einen Punkt haben wir Deutschen
durch unser Reichstags-Wahlgesetz die freiheitlichen Engländer
übertroffen: bei uns hat jeder Fünfundzwanzigjährige das Recht
zu wählen — sofern er ein Mann ist, natürlich; in England
hängt die Berechtigung zur Wahl von der Steuerpflicht ab.
„Keine Repräsentierung ohne Besteuerung‟ und „keine Besteue-
rung ohne Repräsentierung‟ lautet der Grundsatz dieses Wahl-
rechtes, auf den gestützt auch nur die steuerzahlenden Frauen,
also die Unverheirateten und die Wittwen, zur Wahlurne zuge-
lassen werden können.

Lady Dilke, eine der Frauen Englands, deren Namen im
politischen Leben einen guten Klang hat, erklärte auf dem inter-
nationalen Frauenkongreß im Jahre 1888, daß während der
Regierungszeit der Königin Viktoria die Demokratisierung des
Wahlrechts stetig fortgeschritten sei, daß aber trotzdem eine große
Anzahl Männer das Stimmrecht nicht besäßen und gerade diese
Männer, also der ärmste Teil der Bevölkerung, es seien, welche
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[15/0016] aus der Welt geschafft wird. Es gilt die ganze soziale Lage der arbeitenden Bevölkerung zu heben, wenn „König Alkohol‟ be- siegt werden soll. Jn diesem Sinne arbeiten die Temperenz- lerinnen und haben die Forderung des Frauenstimmrechts in ihr Programm aufgenommen. Sie können eben nur dann wirksam vorgehen, wenn sie an den Gesetzen des Landes mitarbeiten. — John Hall, der frühere Gouverneur von Neu-Seeland und ein eifriger Vorkämpfer der Forderung der Frauen, sprach sich über die erste, im Dezember vorigen Jahres stattgefundene Ausübung des Wahlrechtes seitens der Frauen auf das günstigste aus. Der jetzige Gouverneur stand nicht an, einer Deputation von Frauen zu erklären, daß die Wählbarkeit der Frauen nur eine Folge ihres aktiven Wahlrechtes sein würde und ihnen gewährt werden müsse, sobald sie selbst sich reif dazu fühlen. Aber die englischen Frauen geben sich weder mit den ihnen zugestandenen, noch mit den ihnen in Aussicht stehenden Rechten zufrieden. Um dies zu verstehen, müssen wir uns vergegenwärtigen, daß das englische Parlaments-Wahlrecht auch in Bezug aus die Männer ein beschränktes ist. Jn diesem einen Punkt haben wir Deutschen durch unser Reichstags-Wahlgesetz die freiheitlichen Engländer übertroffen: bei uns hat jeder Fünfundzwanzigjährige das Recht zu wählen — sofern er ein Mann ist, natürlich; in England hängt die Berechtigung zur Wahl von der Steuerpflicht ab. „Keine Repräsentierung ohne Besteuerung‟ und „keine Besteue- rung ohne Repräsentierung‟ lautet der Grundsatz dieses Wahl- rechtes, auf den gestützt auch nur die steuerzahlenden Frauen, also die Unverheirateten und die Wittwen, zur Wahlurne zuge- lassen werden können. Lady Dilke, eine der Frauen Englands, deren Namen im politischen Leben einen guten Klang hat, erklärte auf dem inter- nationalen Frauenkongreß im Jahre 1888, daß während der Regierungszeit der Königin Viktoria die Demokratisierung des Wahlrechts stetig fortgeschritten sei, daß aber trotzdem eine große Anzahl Männer das Stimmrecht nicht besäßen und gerade diese Männer, also der ärmste Teil der Bevölkerung, es seien, welche am energischsten für das Stimmrecht der Frauen einträten. „Und

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Zitationshilfe: Gizycki, Lily von: Die Bürgerpflicht der Frau. Berlin, 1895, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gizycki_buergerpflicht_1895/16>, abgerufen am 29.03.2024.