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Gizycki, Lily von: Die Bürgerpflicht der Frau. Berlin, 1895.

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Jn Henrik Jbsens "Baumeister Solneß" ist Hilde Wangel
die "Jugend, die an die Thüre klopft", um den Baumeister aus
seiner Engigkeit herauszulocken. Sie kümmert sich nicht um die
Gebote des "guten Herkommens", sie liebt die Worte nicht, die
man zu gebrauchen pflegt, ohne daß sie von Herzen kommen.
"Das häßliche, garstige Wort" Pflicht "hört sich so kalt und
spitzig und stechend an," "ich kann es nicht ausstehen!" ruft sie
aus, als Aline Solneß den Dank des jungen Mädchens mit den
Worten abwehrt: "Jch thue ja nur meine Pflicht." Verkümmerte
Frauen, wie diese Aline, welche nie eine selbständige Persönlich-
keit haben werden können, pflegen das Wort "Pflicht" wie einen
Schild vor sich her zu tragen, um ihren leeren Geist und ihr
leeres Herz dahinter zu verstecken. Der andere Teil des weib-
lichen Geschlechtes aber, der zur Erkenntnis seiner rechtlosen
Stellung gekommen ist, steht wie Hilde vor der Thüre und be-
gehrt Einlaß. Er pocht an die Pforten der Universität, des
Gerichtshofes, des Parlamentes -- nicht aus Neugierde, nicht
aus selbstsüchtigem Ehrgeiz, nein, mit ihm soll frische Luft und
heller Sonnenschein in die Welt dort drinnen eindringen; er will
sie befreien aus ihrer Engigkeit.

Ein Wort ist es, das fester als alle Schlösser und Thore
den Weg versperrt, das Wort: Pflicht, und wir fangen an, es
wie Hilde "nicht auszustehen".

"Es ist die Pflicht der Frau, dem Hause vorzustehen, zu
dienen, zu gehorchen und zu schweigen in der Gemeinde", wird
den Frauen entgegengerufen, die ihre Rechte geltend machen
wollen. Und da sie wissen, daß der Wert des Menschen vor
dem Richterstuhle der Ethik danach bemessen wird, wie weit er
seine Pflicht erfüllt, so verstummen sie oft vor solchen Gegnern,
die das altehrwürdige Sittengesetz gegen sie geltend machen.
Sie wissen nicht, daß sie gerade im Namen dieses Sittengesetzes

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Jn Henrik Jbsens „Baumeister Solneß‟ ist Hilde Wangel
die „Jugend, die an die Thüre klopft‟, um den Baumeister aus
seiner Engigkeit herauszulocken. Sie kümmert sich nicht um die
Gebote des „guten Herkommens‟, sie liebt die Worte nicht, die
man zu gebrauchen pflegt, ohne daß sie von Herzen kommen.
„Das häßliche, garstige Wort‟ Pflicht „hört sich so kalt und
spitzig und stechend an,‟ „ich kann es nicht ausstehen!‟ ruft sie
aus, als Aline Solneß den Dank des jungen Mädchens mit den
Worten abwehrt: „Jch thue ja nur meine Pflicht.‟ Verkümmerte
Frauen, wie diese Aline, welche nie eine selbständige Persönlich-
keit haben werden können, pflegen das Wort „Pflicht‟ wie einen
Schild vor sich her zu tragen, um ihren leeren Geist und ihr
leeres Herz dahinter zu verstecken. Der andere Teil des weib-
lichen Geschlechtes aber, der zur Erkenntnis seiner rechtlosen
Stellung gekommen ist, steht wie Hilde vor der Thüre und be-
gehrt Einlaß. Er pocht an die Pforten der Universität, des
Gerichtshofes, des Parlamentes — nicht aus Neugierde, nicht
aus selbstsüchtigem Ehrgeiz, nein, mit ihm soll frische Luft und
heller Sonnenschein in die Welt dort drinnen eindringen; er will
sie befreien aus ihrer Engigkeit.

Ein Wort ist es, das fester als alle Schlösser und Thore
den Weg versperrt, das Wort: Pflicht, und wir fangen an, es
wie Hilde „nicht auszustehen‟.

„Es ist die Pflicht der Frau, dem Hause vorzustehen, zu
dienen, zu gehorchen und zu schweigen in der Gemeinde‟, wird
den Frauen entgegengerufen, die ihre Rechte geltend machen
wollen. Und da sie wissen, daß der Wert des Menschen vor
dem Richterstuhle der Ethik danach bemessen wird, wie weit er
seine Pflicht erfüllt, so verstummen sie oft vor solchen Gegnern,
die das altehrwürdige Sittengesetz gegen sie geltend machen.
Sie wissen nicht, daß sie gerade im Namen dieses Sittengesetzes

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Zitationshilfe: Gizycki, Lily von: Die Bürgerpflicht der Frau. Berlin, 1895, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gizycki_buergerpflicht_1895/4>, abgerufen am 19.04.2024.