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Gizycki, Lily von: Die Bürgerpflicht der Frau. Berlin, 1895.

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nicht verstummen dürften, daß die Pflicht kein "kaltes, stechendes
Wort" ist, zu dem geistliche und weltliche Pfaffen es gemacht
haben, sondern eine lebendige Kraft, welche die Menschen, die
sie beseelt mit Begeisterung erfüllt, und sie in ihrem Dienst
Schmach und Tod nicht scheuen läßt.

Wir Frauen haben ernste, heilige Pflichten, aber die Augen,
mit denen wir sie erkennen könnten, hat man uns verbunden.
Jetzt, wo die Binde sich ein wenig zu lockern beginnt, fangen
wir an, von unseren Rechten zu sprechen, ohne in gleicher
Weise der Pflichten zu gedenken, welche die Gegenwart uns
auferlegt.

Vor Zeiten, als noch der größte Teil der Jndustrie in den
Händen jeder einzelnen Hausfrau lag, konnte der Kreis ihrer
Pflichten nur in seltenen Fällen über die Grenze des Hauses
hinausreichen. Sie war die Sklavin par excellence, deren
ganze Zeit in der Sorge für ihren Gebieter, ihre Kinder, ihren
Hausstand aufgehen mußte. Einzelne Frauen, die sich vermöge
ihrer hervorragenden Fähigkeiten, unterstützt durch günstige Um-
stände, dem Dienste des Hauses entzogen, um sich in den Dienst
der Menschheit zu stellen, wurden nicht zurückgehalten, die Pflicht
zu erfüllen, die sie als die ihre erkannt hatten. Das heidnische
Altertum wie die Renaissance berichten uns von solchen Frauen.
Aber zu einem allgemeinen Bewußtsein davon, daß sie nicht nur
Frauen, sondern auch Menschen seien, und als solche besondere
Pflichten zu erfüllen, besondere Rechte zu fordern hätten, kamen
sie vermöge ihrer äußeren Lage nicht.

Jn Rom hat es einmal etwas wie eine Frauenbewegung
gegeben. Das Gesetz hatte den Frauen das Forum zugänglich
gemacht, weibliche Advokaten genossen dasselbe Recht, wie
männliche, bis eine Frau, Cafrania mit Namen, durch ihr Auf-
treten Ärgernis erregte, und ein neues Gesetz die Frauen von
der Advokatur ausschloß. Unter Theodosius wurde zwar den
Frauen erlaubt, in eigener Sache zu plaidieren, doch Justinian
verbot es wieder. Die arme Cafrania aber hat noch den Ge-
setzgebern späterer Zeiten gute Dienste geleistet. Sogar der
Verfasser des mittelalterlichen "Schwaben-Spiegels" beruft sich

nicht verstummen dürften, daß die Pflicht kein „kaltes, stechendes
Wort‟ ist, zu dem geistliche und weltliche Pfaffen es gemacht
haben, sondern eine lebendige Kraft, welche die Menschen, die
sie beseelt mit Begeisterung erfüllt, und sie in ihrem Dienst
Schmach und Tod nicht scheuen läßt.

Wir Frauen haben ernste, heilige Pflichten, aber die Augen,
mit denen wir sie erkennen könnten, hat man uns verbunden.
Jetzt, wo die Binde sich ein wenig zu lockern beginnt, fangen
wir an, von unseren Rechten zu sprechen, ohne in gleicher
Weise der Pflichten zu gedenken, welche die Gegenwart uns
auferlegt.

Vor Zeiten, als noch der größte Teil der Jndustrie in den
Händen jeder einzelnen Hausfrau lag, konnte der Kreis ihrer
Pflichten nur in seltenen Fällen über die Grenze des Hauses
hinausreichen. Sie war die Sklavin par excellence, deren
ganze Zeit in der Sorge für ihren Gebieter, ihre Kinder, ihren
Hausstand aufgehen mußte. Einzelne Frauen, die sich vermöge
ihrer hervorragenden Fähigkeiten, unterstützt durch günstige Um-
stände, dem Dienste des Hauses entzogen, um sich in den Dienst
der Menschheit zu stellen, wurden nicht zurückgehalten, die Pflicht
zu erfüllen, die sie als die ihre erkannt hatten. Das heidnische
Altertum wie die Renaissance berichten uns von solchen Frauen.
Aber zu einem allgemeinen Bewußtsein davon, daß sie nicht nur
Frauen, sondern auch Menschen seien, und als solche besondere
Pflichten zu erfüllen, besondere Rechte zu fordern hätten, kamen
sie vermöge ihrer äußeren Lage nicht.

Jn Rom hat es einmal etwas wie eine Frauenbewegung
gegeben. Das Gesetz hatte den Frauen das Forum zugänglich
gemacht, weibliche Advokaten genossen dasselbe Recht, wie
männliche, bis eine Frau, Cafrania mit Namen, durch ihr Auf-
treten Ärgernis erregte, und ein neues Gesetz die Frauen von
der Advokatur ausschloß. Unter Theodosius wurde zwar den
Frauen erlaubt, in eigener Sache zu plaidieren, doch Justinian
verbot es wieder. Die arme Cafrania aber hat noch den Ge-
setzgebern späterer Zeiten gute Dienste geleistet. Sogar der
Verfasser des mittelalterlichen „Schwaben-Spiegels‟ beruft sich

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[4/0005] nicht verstummen dürften, daß die Pflicht kein „kaltes, stechendes Wort‟ ist, zu dem geistliche und weltliche Pfaffen es gemacht haben, sondern eine lebendige Kraft, welche die Menschen, die sie beseelt mit Begeisterung erfüllt, und sie in ihrem Dienst Schmach und Tod nicht scheuen läßt. Wir Frauen haben ernste, heilige Pflichten, aber die Augen, mit denen wir sie erkennen könnten, hat man uns verbunden. Jetzt, wo die Binde sich ein wenig zu lockern beginnt, fangen wir an, von unseren Rechten zu sprechen, ohne in gleicher Weise der Pflichten zu gedenken, welche die Gegenwart uns auferlegt. Vor Zeiten, als noch der größte Teil der Jndustrie in den Händen jeder einzelnen Hausfrau lag, konnte der Kreis ihrer Pflichten nur in seltenen Fällen über die Grenze des Hauses hinausreichen. Sie war die Sklavin par excellence, deren ganze Zeit in der Sorge für ihren Gebieter, ihre Kinder, ihren Hausstand aufgehen mußte. Einzelne Frauen, die sich vermöge ihrer hervorragenden Fähigkeiten, unterstützt durch günstige Um- stände, dem Dienste des Hauses entzogen, um sich in den Dienst der Menschheit zu stellen, wurden nicht zurückgehalten, die Pflicht zu erfüllen, die sie als die ihre erkannt hatten. Das heidnische Altertum wie die Renaissance berichten uns von solchen Frauen. Aber zu einem allgemeinen Bewußtsein davon, daß sie nicht nur Frauen, sondern auch Menschen seien, und als solche besondere Pflichten zu erfüllen, besondere Rechte zu fordern hätten, kamen sie vermöge ihrer äußeren Lage nicht. Jn Rom hat es einmal etwas wie eine Frauenbewegung gegeben. Das Gesetz hatte den Frauen das Forum zugänglich gemacht, weibliche Advokaten genossen dasselbe Recht, wie männliche, bis eine Frau, Cafrania mit Namen, durch ihr Auf- treten Ärgernis erregte, und ein neues Gesetz die Frauen von der Advokatur ausschloß. Unter Theodosius wurde zwar den Frauen erlaubt, in eigener Sache zu plaidieren, doch Justinian verbot es wieder. Die arme Cafrania aber hat noch den Ge- setzgebern späterer Zeiten gute Dienste geleistet. Sogar der Verfasser des mittelalterlichen „Schwaben-Spiegels‟ beruft sich

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Zitationshilfe: Gizycki, Lily von: Die Bürgerpflicht der Frau. Berlin, 1895, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gizycki_buergerpflicht_1895/5>, abgerufen am 23.04.2024.