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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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de Iustitia et Iure.
Ius gentium in der menschlichen Natur gegründet ist, und
solche Vorschriften enthält, die immer gut und billig
sind, weil sie die Vernunft lehrt, so nennen die Römi-
schen Juristen dieses Recht auch ius naturale 41), und
naturalis aequitas 42). Aus dieser Quelle des gemei-
nen Menschen-Rechts leitet Hermogenian 43) auch
Krieg, Eintheilung der Völker, Staatenerrichtung, Ab-
sonderung des Eigenthums, Begränzung der Aecker, Er-
bauung der Häuser und Städte, Treibung des Handels
und Gewerbes, Verträge, besonders Kauf und Pach-
tung, samt denen daraus entspringenden Verbindlichkei-
ten her 44). Allein heutiges Tages nehmen wir Ius
gentium
in jener Römischen Bedeutung nicht, sondern
verstehen darunter das eigentliche Völkerrecht, das
ist, den Inbegrif solcher Rechte und Verbindlichkeiten,
welche freye Völker gegen einander zu beobachten haben;
und dieses kann auch Positivrecht seyn, insofern es
sich auf Verträge oder Gewohnheiten gründet 45). Man
behauptet insgemein, daß der Römer ius Gentium nichts
anders, als das Naturrecht im heutigen Begrif genom-
men sey. Ganz unrichtig ist diese Meinung eben nicht;
allein es lassen uns doch verschiedene Stellen vermuthen,
daß die Römer auch ein ius gentium positivum ange-
nommen, denn Justinian rechnet in §. 2. I. de
iure nat. gent. et civ.
ausdrücklich auch dasjenige Recht
zum iure gentium, quod usu exigente et bumanis neces-
sitatibus gentes sibi constituerunt;
wenn es auch gleich

dem
41) L. 11. pr. D. h. t. L. 2. D de Rer. divis.
42) L. 32. D. de peculio. cicero in Topic. c. 7. 23.
43) L. 5. D. de l. et l.
44) Ueber diese Stelle des Hermogenians verdient insonder-
heit Ios. finestres in Hermogeniano a. a. O.
Exercit. 3. u. folgg. verglichen zu werden.
45) S. Höpfners Naturrecht §. 215.
F 4

de Iuſtitia et Iure.
Ius gentium in der menſchlichen Natur gegruͤndet iſt, und
ſolche Vorſchriften enthaͤlt, die immer gut und billig
ſind, weil ſie die Vernunft lehrt, ſo nennen die Roͤmi-
ſchen Juriſten dieſes Recht auch ius naturale 41), und
naturalis aequitas 42). Aus dieſer Quelle des gemei-
nen Menſchen-Rechts leitet Hermogenian 43) auch
Krieg, Eintheilung der Voͤlker, Staatenerrichtung, Ab-
ſonderung des Eigenthums, Begraͤnzung der Aecker, Er-
bauung der Haͤuſer und Staͤdte, Treibung des Handels
und Gewerbes, Vertraͤge, beſonders Kauf und Pach-
tung, ſamt denen daraus entſpringenden Verbindlichkei-
ten her 44). Allein heutiges Tages nehmen wir Ius
gentium
in jener Roͤmiſchen Bedeutung nicht, ſondern
verſtehen darunter das eigentliche Voͤlkerrecht, das
iſt, den Inbegrif ſolcher Rechte und Verbindlichkeiten,
welche freye Voͤlker gegen einander zu beobachten haben;
und dieſes kann auch Poſitivrecht ſeyn, inſofern es
ſich auf Vertraͤge oder Gewohnheiten gruͤndet 45). Man
behauptet insgemein, daß der Roͤmer ius Gentium nichts
anders, als das Naturrecht im heutigen Begrif genom-
men ſey. Ganz unrichtig iſt dieſe Meinung eben nicht;
allein es laſſen uns doch verſchiedene Stellen vermuthen,
daß die Roͤmer auch ein ius gentium poſitivum ange-
nommen, denn Juſtinian rechnet in §. 2. I. de
iure nat. gent. et civ.
ausdruͤcklich auch dasjenige Recht
zum iure gentium, quod uſu exigente et bumanis neceſ-
ſitatibus gentes ſibi conſtituerunt;
wenn es auch gleich

dem
41) L. 11. pr. D. h. t. L. 2. D de Rer. diviſ.
42) L. 32. D. de peculio. cicero in Topic. c. 7. 23.
43) L. 5. D. de l. et l.
44) Ueber dieſe Stelle des Hermogenians verdient inſonder-
heit Ioſ. finestres in Hermogeniano a. a. O.
Exercit. 3. u. folgg. verglichen zu werden.
45) S. Hoͤpfners Naturrecht §. 215.
F 4
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[87/0107] de Iuſtitia et Iure. Ius gentium in der menſchlichen Natur gegruͤndet iſt, und ſolche Vorſchriften enthaͤlt, die immer gut und billig ſind, weil ſie die Vernunft lehrt, ſo nennen die Roͤmi- ſchen Juriſten dieſes Recht auch ius naturale 41), und naturalis aequitas 42). Aus dieſer Quelle des gemei- nen Menſchen-Rechts leitet Hermogenian 43) auch Krieg, Eintheilung der Voͤlker, Staatenerrichtung, Ab- ſonderung des Eigenthums, Begraͤnzung der Aecker, Er- bauung der Haͤuſer und Staͤdte, Treibung des Handels und Gewerbes, Vertraͤge, beſonders Kauf und Pach- tung, ſamt denen daraus entſpringenden Verbindlichkei- ten her 44). Allein heutiges Tages nehmen wir Ius gentium in jener Roͤmiſchen Bedeutung nicht, ſondern verſtehen darunter das eigentliche Voͤlkerrecht, das iſt, den Inbegrif ſolcher Rechte und Verbindlichkeiten, welche freye Voͤlker gegen einander zu beobachten haben; und dieſes kann auch Poſitivrecht ſeyn, inſofern es ſich auf Vertraͤge oder Gewohnheiten gruͤndet 45). Man behauptet insgemein, daß der Roͤmer ius Gentium nichts anders, als das Naturrecht im heutigen Begrif genom- men ſey. Ganz unrichtig iſt dieſe Meinung eben nicht; allein es laſſen uns doch verſchiedene Stellen vermuthen, daß die Roͤmer auch ein ius gentium poſitivum ange- nommen, denn Juſtinian rechnet in §. 2. I. de iure nat. gent. et civ. ausdruͤcklich auch dasjenige Recht zum iure gentium, quod uſu exigente et bumanis neceſ- ſitatibus gentes ſibi conſtituerunt; wenn es auch gleich dem 41) L. 11. pr. D. h. t. L. 2. D de Rer. diviſ. 42) L. 32. D. de peculio. cicero in Topic. c. 7. 23. 43) L. 5. D. de l. et l. 44) Ueber dieſe Stelle des Hermogenians verdient inſonder- heit Ioſ. finestres in Hermogeniano a. a. O. Exercit. 3. u. folgg. verglichen zu werden. 45) S. Hoͤpfners Naturrecht §. 215. F 4

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/107>, abgerufen am 01.05.2024.