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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 1. Tit.
ist unmöglich zu rechtfertigen, weil, was jene Meinung
anbetrift, eines Theils nicht abzusehen, warum dasje-
nige, was doch die Natur der Sache schon mit sich
bringt, noch erst durch besondere gesezliche Vorschriften
angeordnet seyn müste, andern Theils aber auch durch
die oben angeführte Gesetze die Ausdrückung der Nich-
tigkeits-Clausul bey verbietenden Gesetzen schlechterdings
für unnöthig erkläret wird; nach der andern Meinung
aber das offenbahre Absurdum zugelassen werden müßte,
daß die im Gesez gedrohete Strafe, welche doch nach
der Absicht des Gesezgebers den Unterthan von Un-
ternehmung des verbotenen Handels noch mehr zurück-
halten soll, ein Mittel werden könne, sich die zur Gültig-
keit des Geschäfts erforderliche moralische Befugniß bey-
zulegen 72). Noch zweyerley ist jedoch hierbey zu bemer-
ken.

Erstens, daß obige Regel in einigen Fällen ge-
wissermaßen eine Ausnahme findet, wo verbotene Rechts-
geschäfte nach der Verordnung der Gesetze nichts desto-
weniger aufrecht bleiben. Forschen wir jedoch dem
Grunde davon genau nach, so wird sich bald ergeben,
daß in andern Fällen keinesweges das nehmliche zu be-
haupten sey. Wir wollen nun einige dieser Ausnahmen
selbst prüfen. So ist z. B. bekannt, daß, wenn eine
Wittwe vor Ablauf des Trauerjahrs sich ohne erhaltene
Dispensation anderweitig verheirathet, zwar hierdurch
die gesetzliche Strafe verwirkt, jedoch die, obgleich ver-

botene
72) Man sehe, was Herr Prof. Weber im angef. Buch
§. 74. S. 297. und folgg. mit dem ihm eignen Scharf-
sinn hierüber gesagt hat. Vergleiche auch Greg. maian-
sii
Diss. de factis contra legem: Tom. II. Dis-
put
. Nr. XI.
Eichmann a. a. O. Car. Christph. hofa-
cker
Princip. iuris civ. Rom. Germ. T. I.
Lib. I. cap. VI. Tit. III.
§. 210.

1. Buch. 1. Tit.
iſt unmoͤglich zu rechtfertigen, weil, was jene Meinung
anbetrift, eines Theils nicht abzuſehen, warum dasje-
nige, was doch die Natur der Sache ſchon mit ſich
bringt, noch erſt durch beſondere geſezliche Vorſchriften
angeordnet ſeyn muͤſte, andern Theils aber auch durch
die oben angefuͤhrte Geſetze die Ausdruͤckung der Nich-
tigkeits-Clauſul bey verbietenden Geſetzen ſchlechterdings
fuͤr unnoͤthig erklaͤret wird; nach der andern Meinung
aber das offenbahre Abſurdum zugelaſſen werden muͤßte,
daß die im Geſez gedrohete Strafe, welche doch nach
der Abſicht des Geſezgebers den Unterthan von Un-
ternehmung des verbotenen Handels noch mehr zuruͤck-
halten ſoll, ein Mittel werden koͤnne, ſich die zur Guͤltig-
keit des Geſchaͤfts erforderliche moraliſche Befugniß bey-
zulegen 72). Noch zweyerley iſt jedoch hierbey zu bemer-
ken.

Erſtens, daß obige Regel in einigen Faͤllen ge-
wiſſermaßen eine Ausnahme findet, wo verbotene Rechts-
geſchaͤfte nach der Verordnung der Geſetze nichts deſto-
weniger aufrecht bleiben. Forſchen wir jedoch dem
Grunde davon genau nach, ſo wird ſich bald ergeben,
daß in andern Faͤllen keinesweges das nehmliche zu be-
haupten ſey. Wir wollen nun einige dieſer Ausnahmen
ſelbſt pruͤfen. So iſt z. B. bekannt, daß, wenn eine
Wittwe vor Ablauf des Trauerjahrs ſich ohne erhaltene
Diſpenſation anderweitig verheirathet, zwar hierdurch
die geſetzliche Strafe verwirkt, jedoch die, obgleich ver-

botene
72) Man ſehe, was Herr Prof. Weber im angef. Buch
§. 74. S. 297. und folgg. mit dem ihm eignen Scharf-
ſinn hieruͤber geſagt hat. Vergleiche auch Greg. maian-
sii
Diſſ. de factis contra legem: Tom. II. Diſ-
put
. Nr. XI.
Eichmann a. a. O. Car. Chriſtph. hofa-
cker
Princip. iuris civ. Rom. Germ. T. I.
Lib. I. cap. VI. Tit. III.
§. 210.
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[104/0124] 1. Buch. 1. Tit. iſt unmoͤglich zu rechtfertigen, weil, was jene Meinung anbetrift, eines Theils nicht abzuſehen, warum dasje- nige, was doch die Natur der Sache ſchon mit ſich bringt, noch erſt durch beſondere geſezliche Vorſchriften angeordnet ſeyn muͤſte, andern Theils aber auch durch die oben angefuͤhrte Geſetze die Ausdruͤckung der Nich- tigkeits-Clauſul bey verbietenden Geſetzen ſchlechterdings fuͤr unnoͤthig erklaͤret wird; nach der andern Meinung aber das offenbahre Abſurdum zugelaſſen werden muͤßte, daß die im Geſez gedrohete Strafe, welche doch nach der Abſicht des Geſezgebers den Unterthan von Un- ternehmung des verbotenen Handels noch mehr zuruͤck- halten ſoll, ein Mittel werden koͤnne, ſich die zur Guͤltig- keit des Geſchaͤfts erforderliche moraliſche Befugniß bey- zulegen 72). Noch zweyerley iſt jedoch hierbey zu bemer- ken. Erſtens, daß obige Regel in einigen Faͤllen ge- wiſſermaßen eine Ausnahme findet, wo verbotene Rechts- geſchaͤfte nach der Verordnung der Geſetze nichts deſto- weniger aufrecht bleiben. Forſchen wir jedoch dem Grunde davon genau nach, ſo wird ſich bald ergeben, daß in andern Faͤllen keinesweges das nehmliche zu be- haupten ſey. Wir wollen nun einige dieſer Ausnahmen ſelbſt pruͤfen. So iſt z. B. bekannt, daß, wenn eine Wittwe vor Ablauf des Trauerjahrs ſich ohne erhaltene Diſpenſation anderweitig verheirathet, zwar hierdurch die geſetzliche Strafe verwirkt, jedoch die, obgleich ver- botene 72) Man ſehe, was Herr Prof. Weber im angef. Buch §. 74. S. 297. und folgg. mit dem ihm eignen Scharf- ſinn hieruͤber geſagt hat. Vergleiche auch Greg. maian- sii Diſſ. de factis contra legem: Tom. II. Diſ- put. Nr. XI. Eichmann a. a. O. Car. Chriſtph. hofa- cker Princip. iuris civ. Rom. Germ. T. I. Lib. I. cap. VI. Tit. III. §. 210.

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/124>, abgerufen am 01.05.2024.