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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 1. Tit.
wollen zwar auch einige dieses promulgationem legis
nennen, allein es geschiehet abusive. Gesetze, die aus-
drücklich vom Gesezgeber promulgiret worden sind, wer-
den geschriebene Gesetze in juristischem Verstande
genennt, und dem Gewohnheitsrechte entgegengesezt,
wovon im 3ten Titul ein mehreres vorkommen wird.

(§. 20.) In der Lehre von der Bekanntmachung
der Gesetze kommt es nun hauptsächlich auf zwey Fra-
gen an: Erstens, wie muß die Bekanntmachung eines
Gesetzes geschehen, wenn sie von rechtlicher Wirkung
seyn soll? und zweitens: was hat sie für Wirkungen?
In Betreff der erstern Frage verstehet sich zwar von
selbsten, daß die Promulgation eines Gesetzes auf eine
solche Art geschehen müsse, dadurch alle diejenigen Wis-
senschaft von dem Gesez erlangen können, welche sich
darnach richten sollen; allein die Frage ist, was dazu
gehöre, um solches zu bewerkstelligen? Diese Frage ist
besonders in Ansehung peinlicher Gesetze von grö-
ster Wichtigkeit, indem der Mangel hinreichender Wis-
senschaft derselben nothwendig die Wirksamkeit der Stra-
fen hindern muß. So gewiß es nun übrigens ist, daß
zur Bekanntmachung eines Gesetzes, wenn sie auf die
gehörige Art geschehen soll, dreyerley erfordert werde,
nehmlich:

1) daß sie an einem öffentlichen und dazu schickli-
chen Orte geschehe,
2) zu einer schicklichen Zeit, und
3) in einer Sprache, die die Unterthanen verstehen;

so lehrt doch die tägliche Erfahrung, wie wenig insge-
mein durch die gewöhnliche Bekanntmachung der ge-
wünschte Entzweck, besonders in Ansehung der Straf-

gesetze

1. Buch. 1. Tit.
wollen zwar auch einige dieſes promulgationem legis
nennen, allein es geſchiehet abuſive. Geſetze, die aus-
druͤcklich vom Geſezgeber promulgiret worden ſind, wer-
den geſchriebene Geſetze in juriſtiſchem Verſtande
genennt, und dem Gewohnheitsrechte entgegengeſezt,
wovon im 3ten Titul ein mehreres vorkommen wird.

(§. 20.) In der Lehre von der Bekanntmachung
der Geſetze kommt es nun hauptſaͤchlich auf zwey Fra-
gen an: Erſtens, wie muß die Bekanntmachung eines
Geſetzes geſchehen, wenn ſie von rechtlicher Wirkung
ſeyn ſoll? und zweitens: was hat ſie fuͤr Wirkungen?
In Betreff der erſtern Frage verſtehet ſich zwar von
ſelbſten, daß die Promulgation eines Geſetzes auf eine
ſolche Art geſchehen muͤſſe, dadurch alle diejenigen Wiſ-
ſenſchaft von dem Geſez erlangen koͤnnen, welche ſich
darnach richten ſollen; allein die Frage iſt, was dazu
gehoͤre, um ſolches zu bewerkſtelligen? Dieſe Frage iſt
beſonders in Anſehung peinlicher Geſetze von groͤ-
ſter Wichtigkeit, indem der Mangel hinreichender Wiſ-
ſenſchaft derſelben nothwendig die Wirkſamkeit der Stra-
fen hindern muß. So gewiß es nun uͤbrigens iſt, daß
zur Bekanntmachung eines Geſetzes, wenn ſie auf die
gehoͤrige Art geſchehen ſoll, dreyerley erfordert werde,
nehmlich:

1) daß ſie an einem oͤffentlichen und dazu ſchickli-
chen Orte geſchehe,
2) zu einer ſchicklichen Zeit, und
3) in einer Sprache, die die Unterthanen verſtehen;

ſo lehrt doch die taͤgliche Erfahrung, wie wenig insge-
mein durch die gewoͤhnliche Bekanntmachung der ge-
wuͤnſchte Entzweck, beſonders in Anſehung der Straf-

geſetze
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[130/0150] 1. Buch. 1. Tit. wollen zwar auch einige dieſes promulgationem legis nennen, allein es geſchiehet abuſive. Geſetze, die aus- druͤcklich vom Geſezgeber promulgiret worden ſind, wer- den geſchriebene Geſetze in juriſtiſchem Verſtande genennt, und dem Gewohnheitsrechte entgegengeſezt, wovon im 3ten Titul ein mehreres vorkommen wird. (§. 20.) In der Lehre von der Bekanntmachung der Geſetze kommt es nun hauptſaͤchlich auf zwey Fra- gen an: Erſtens, wie muß die Bekanntmachung eines Geſetzes geſchehen, wenn ſie von rechtlicher Wirkung ſeyn ſoll? und zweitens: was hat ſie fuͤr Wirkungen? In Betreff der erſtern Frage verſtehet ſich zwar von ſelbſten, daß die Promulgation eines Geſetzes auf eine ſolche Art geſchehen muͤſſe, dadurch alle diejenigen Wiſ- ſenſchaft von dem Geſez erlangen koͤnnen, welche ſich darnach richten ſollen; allein die Frage iſt, was dazu gehoͤre, um ſolches zu bewerkſtelligen? Dieſe Frage iſt beſonders in Anſehung peinlicher Geſetze von groͤ- ſter Wichtigkeit, indem der Mangel hinreichender Wiſ- ſenſchaft derſelben nothwendig die Wirkſamkeit der Stra- fen hindern muß. So gewiß es nun uͤbrigens iſt, daß zur Bekanntmachung eines Geſetzes, wenn ſie auf die gehoͤrige Art geſchehen ſoll, dreyerley erfordert werde, nehmlich: 1) daß ſie an einem oͤffentlichen und dazu ſchickli- chen Orte geſchehe, 2) zu einer ſchicklichen Zeit, und 3) in einer Sprache, die die Unterthanen verſtehen; ſo lehrt doch die taͤgliche Erfahrung, wie wenig insge- mein durch die gewoͤhnliche Bekanntmachung der ge- wuͤnſchte Entzweck, beſonders in Anſehung der Straf- geſetze

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/150>, abgerufen am 28.04.2024.