Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Buch. 1. Tit.
die es so weit, als nur immer möglich, bekannt mach-
ten, fast eben so, wie das Evangelium durch die Apo-
stel, an alle Völker hätte gebracht werden müssen. Ei-
ne solche allgemeine Bekanntmachung dieser Gesetze an
alle Menschen auf der Welt hat aber bis jezt noch von
Keinem erwiesen werden können. Doch Moses selbst
giebt uns noch einen viel entscheidendern Beweis in die-
ser Sache. Man lese nur den Anfang des 18. Capi-
tels im 3. B. Mose, in welchem der Hauptsiz der Mo-
saischen Eheverbote ist, so wird man finden, daß nur
allein den Israeliten die Beobachtung dieser göttlichen
Vorschriften eingeschärft werde; und wenn es gleich
Moses in eben diesem Capitel v. 24 - 29. den Canani-
tern zur Sünde anrechnet, daß sie nicht nach solchen
Ehegesetzen gelebt haben, und von denenselben zur War-
nung der Israeliten sagt: daß Gott ihre Missethaten
ahnden, und sie ihrer Greuel wegen aus ihrem Lande
ausstossen wolle, weil sie solches verunreiniget haben;
so lässet sich jedoch hieraus, daß die Gesetze Mosis von
den verbotenen Graden als leges positivae divinae uni-
versales
anzusehen, so wenig erweisen, daß vielmehr
das Gegentheil daraus erhellet, indem, wenn diese Ge-
setze für allgemeine positive Gesetze gehalten seyn sol-
ten, sodann nicht abzusehen wäre, wie die Cananiter
hätten wegen einer Uebertretung dieser Gesetze bestrafet
werden können, die doch Gott nicht ihnen zugleich, son-
dern blos den Israeliten durch Mosen hatte bekannt
machen lassen. Es ist also ganz offenbahr, daß unter
den Greueln, daran die Cananiter sich und ihr Land
verunreiniget haben, nicht jede in den Mosaischen Ehe-
gesetzen auch nur aus blos willkührlichen Ursachen unter-
sagte fleischliche Vermischungen, sondern solche Verge-
hungen wider die Keuschheit zu verstehen sind, die schon
von Natur so schrecklich sind, daß die Abscheulichkeit

einem

1. Buch. 1. Tit.
die es ſo weit, als nur immer moͤglich, bekannt mach-
ten, faſt eben ſo, wie das Evangelium durch die Apo-
ſtel, an alle Voͤlker haͤtte gebracht werden muͤſſen. Ei-
ne ſolche allgemeine Bekanntmachung dieſer Geſetze an
alle Menſchen auf der Welt hat aber bis jezt noch von
Keinem erwieſen werden koͤnnen. Doch Moſes ſelbſt
giebt uns noch einen viel entſcheidendern Beweis in die-
ſer Sache. Man leſe nur den Anfang des 18. Capi-
tels im 3. B. Moſe, in welchem der Hauptſiz der Mo-
ſaiſchen Eheverbote iſt, ſo wird man finden, daß nur
allein den Israeliten die Beobachtung dieſer goͤttlichen
Vorſchriften eingeſchaͤrft werde; und wenn es gleich
Moſes in eben dieſem Capitel v. 24 ‒ 29. den Canani-
tern zur Suͤnde anrechnet, daß ſie nicht nach ſolchen
Ehegeſetzen gelebt haben, und von denenſelben zur War-
nung der Israeliten ſagt: daß Gott ihre Miſſethaten
ahnden, und ſie ihrer Greuel wegen aus ihrem Lande
ausſtoſſen wolle, weil ſie ſolches verunreiniget haben;
ſo laͤſſet ſich jedoch hieraus, daß die Geſetze Moſis von
den verbotenen Graden als leges poſitivae divinae uni-
verſales
anzuſehen, ſo wenig erweiſen, daß vielmehr
das Gegentheil daraus erhellet, indem, wenn dieſe Ge-
ſetze fuͤr allgemeine poſitive Geſetze gehalten ſeyn ſol-
ten, ſodann nicht abzuſehen waͤre, wie die Cananiter
haͤtten wegen einer Uebertretung dieſer Geſetze beſtrafet
werden koͤnnen, die doch Gott nicht ihnen zugleich, ſon-
dern blos den Israeliten durch Moſen hatte bekannt
machen laſſen. Es iſt alſo ganz offenbahr, daß unter
den Greueln, daran die Cananiter ſich und ihr Land
verunreiniget haben, nicht jede in den Moſaiſchen Ehe-
geſetzen auch nur aus blos willkuͤhrlichen Urſachen unter-
ſagte fleiſchliche Vermiſchungen, ſondern ſolche Verge-
hungen wider die Keuſchheit zu verſtehen ſind, die ſchon
von Natur ſo ſchrecklich ſind, daß die Abſcheulichkeit

einem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0170" n="150"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr">1. Buch. 1. Tit.</hi></fw><lb/>
die es &#x017F;o weit, als nur immer mo&#x0364;glich, bekannt mach-<lb/>
ten, fa&#x017F;t eben &#x017F;o, wie das Evangelium durch die Apo-<lb/>
&#x017F;tel, an alle Vo&#x0364;lker ha&#x0364;tte gebracht werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Ei-<lb/>
ne &#x017F;olche allgemeine Bekanntmachung die&#x017F;er Ge&#x017F;etze an<lb/>
alle Men&#x017F;chen auf der Welt hat aber bis jezt noch von<lb/>
Keinem erwie&#x017F;en werden ko&#x0364;nnen. Doch Mo&#x017F;es &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
giebt uns noch einen viel ent&#x017F;cheidendern Beweis in die-<lb/>
&#x017F;er Sache. Man le&#x017F;e nur den Anfang des 18. Capi-<lb/>
tels im 3. B. Mo&#x017F;e, in welchem der Haupt&#x017F;iz der Mo-<lb/>
&#x017F;ai&#x017F;chen Eheverbote i&#x017F;t, &#x017F;o wird man finden, daß nur<lb/>
allein den Israeliten die Beobachtung die&#x017F;er go&#x0364;ttlichen<lb/>
Vor&#x017F;chriften einge&#x017F;cha&#x0364;rft werde; und wenn es gleich<lb/>
Mo&#x017F;es in eben die&#x017F;em Capitel <hi rendition="#aq">v.</hi> 24 &#x2012; 29. den Canani-<lb/>
tern zur Su&#x0364;nde anrechnet, daß &#x017F;ie nicht nach &#x017F;olchen<lb/>
Ehege&#x017F;etzen gelebt haben, und von denen&#x017F;elben zur War-<lb/>
nung der Israeliten &#x017F;agt: daß Gott ihre Mi&#x017F;&#x017F;ethaten<lb/>
ahnden, und &#x017F;ie ihrer Greuel wegen aus ihrem Lande<lb/>
aus&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en wolle, weil &#x017F;ie &#x017F;olches verunreiniget haben;<lb/>
&#x017F;o la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich jedoch hieraus, daß die Ge&#x017F;etze Mo&#x017F;is von<lb/>
den verbotenen Graden als <hi rendition="#aq">leges po&#x017F;itivae divinae uni-<lb/>
ver&#x017F;ales</hi> anzu&#x017F;ehen, &#x017F;o wenig erwei&#x017F;en, daß vielmehr<lb/>
das Gegentheil daraus erhellet, indem, wenn die&#x017F;e Ge-<lb/>
&#x017F;etze fu&#x0364;r allgemeine po&#x017F;itive Ge&#x017F;etze gehalten &#x017F;eyn &#x017F;ol-<lb/>
ten, &#x017F;odann nicht abzu&#x017F;ehen wa&#x0364;re, wie die Cananiter<lb/>
ha&#x0364;tten wegen einer Uebertretung die&#x017F;er Ge&#x017F;etze be&#x017F;trafet<lb/>
werden ko&#x0364;nnen, die doch Gott nicht ihnen zugleich, &#x017F;on-<lb/>
dern blos den Israeliten durch Mo&#x017F;en hatte bekannt<lb/>
machen la&#x017F;&#x017F;en. Es i&#x017F;t al&#x017F;o ganz offenbahr, daß unter<lb/>
den Greueln, daran die Cananiter &#x017F;ich und ihr Land<lb/>
verunreiniget haben, nicht jede in den Mo&#x017F;ai&#x017F;chen Ehe-<lb/>
ge&#x017F;etzen auch nur aus blos willku&#x0364;hrlichen Ur&#x017F;achen unter-<lb/>
&#x017F;agte flei&#x017F;chliche Vermi&#x017F;chungen, &#x017F;ondern &#x017F;olche Verge-<lb/>
hungen wider die Keu&#x017F;chheit zu ver&#x017F;tehen &#x017F;ind, die &#x017F;chon<lb/>
von Natur &#x017F;o &#x017F;chrecklich &#x017F;ind, daß die Ab&#x017F;cheulichkeit<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">einem</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0170] 1. Buch. 1. Tit. die es ſo weit, als nur immer moͤglich, bekannt mach- ten, faſt eben ſo, wie das Evangelium durch die Apo- ſtel, an alle Voͤlker haͤtte gebracht werden muͤſſen. Ei- ne ſolche allgemeine Bekanntmachung dieſer Geſetze an alle Menſchen auf der Welt hat aber bis jezt noch von Keinem erwieſen werden koͤnnen. Doch Moſes ſelbſt giebt uns noch einen viel entſcheidendern Beweis in die- ſer Sache. Man leſe nur den Anfang des 18. Capi- tels im 3. B. Moſe, in welchem der Hauptſiz der Mo- ſaiſchen Eheverbote iſt, ſo wird man finden, daß nur allein den Israeliten die Beobachtung dieſer goͤttlichen Vorſchriften eingeſchaͤrft werde; und wenn es gleich Moſes in eben dieſem Capitel v. 24 ‒ 29. den Canani- tern zur Suͤnde anrechnet, daß ſie nicht nach ſolchen Ehegeſetzen gelebt haben, und von denenſelben zur War- nung der Israeliten ſagt: daß Gott ihre Miſſethaten ahnden, und ſie ihrer Greuel wegen aus ihrem Lande ausſtoſſen wolle, weil ſie ſolches verunreiniget haben; ſo laͤſſet ſich jedoch hieraus, daß die Geſetze Moſis von den verbotenen Graden als leges poſitivae divinae uni- verſales anzuſehen, ſo wenig erweiſen, daß vielmehr das Gegentheil daraus erhellet, indem, wenn dieſe Ge- ſetze fuͤr allgemeine poſitive Geſetze gehalten ſeyn ſol- ten, ſodann nicht abzuſehen waͤre, wie die Cananiter haͤtten wegen einer Uebertretung dieſer Geſetze beſtrafet werden koͤnnen, die doch Gott nicht ihnen zugleich, ſon- dern blos den Israeliten durch Moſen hatte bekannt machen laſſen. Es iſt alſo ganz offenbahr, daß unter den Greueln, daran die Cananiter ſich und ihr Land verunreiniget haben, nicht jede in den Moſaiſchen Ehe- geſetzen auch nur aus blos willkuͤhrlichen Urſachen unter- ſagte fleiſchliche Vermiſchungen, ſondern ſolche Verge- hungen wider die Keuſchheit zu verſtehen ſind, die ſchon von Natur ſo ſchrecklich ſind, daß die Abſcheulichkeit einem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/170
Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/170>, abgerufen am 20.04.2024.