Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Buch. 1. Tit.
und einer reprobirten natürlichen Verbindlichkeit setzen
will; da die Fälle doch bekannt genug sind, wo selbst
die bürgerlichen Gesetze die Zurückforderung des einmahl
Gegebenen nicht verstatten. So z. B. gehört die Ver-
bindlichkeit aus der Bürgschaft einer Frauenspersohn of-
fenbar zu denen sogenannten reprobirten natürlichen
Verbindlichkeiten, und doch stehet einer Frauenspersohn,
welche wuste, daß sie nicht aus der Bürgschaft gehal-
ten sey, und dennoch bezahlete, die Zurückforderung
nach den Gesetzen nicht zu 88). So leuchtet also das
Mangelhafte, Unbestimmte und Irrige des gemeinen
Lehrbegrifs allenthalben hervor.

Richtiger wird die Sache auf folgende Art vorzu-
stellen seyn. Daß natürliche Verbindlichkeiten zwar auch
im bürgerlichen Zustande vorhanden und fortdaurend
sind, doch aber durch die bürgerlichen Gesetze mancher-
ley Modificationen erhalten können, ist schon oben (§. 17.
u. 18.) dargethan worden. Hieraus folgt,

Erstlich: daß eine jede natürliche Zwangspflicht auch
in den bürgerlichen Gerichten den völligen Effect ha-
be, und in der Regel durch Klagen und Einreden
geltend gemacht werden könne, so weit ihr diese Wir-
kung durch die bürgerlichen Gesetze nicht ausdrücklich
genommen ist;
Zweitens: daß, wenn auch dergleichen Einschränkun-
gen wirklich vorhanden sind, diese dennoch, als Aus-
nahmen von der Regel, auf das strengste erkläret
werden müssen, mithin die natürliche Verbindlichkeit
in Ansehung des gerichtlichen Effects doch nur soviel
verliehre, als das positive Recht derselben nahment-
lich
88) Weber im angef. Buch 2. Abtheil. §. 76. hat noch
mehrere Beispiele hiervon.

1. Buch. 1. Tit.
und einer reprobirten natuͤrlichen Verbindlichkeit ſetzen
will; da die Faͤlle doch bekannt genug ſind, wo ſelbſt
die buͤrgerlichen Geſetze die Zuruͤckforderung des einmahl
Gegebenen nicht verſtatten. So z. B. gehoͤrt die Ver-
bindlichkeit aus der Buͤrgſchaft einer Frauensperſohn of-
fenbar zu denen ſogenannten reprobirten natuͤrlichen
Verbindlichkeiten, und doch ſtehet einer Frauensperſohn,
welche wuſte, daß ſie nicht aus der Buͤrgſchaft gehal-
ten ſey, und dennoch bezahlete, die Zuruͤckforderung
nach den Geſetzen nicht zu 88). So leuchtet alſo das
Mangelhafte, Unbeſtimmte und Irrige des gemeinen
Lehrbegrifs allenthalben hervor.

Richtiger wird die Sache auf folgende Art vorzu-
ſtellen ſeyn. Daß natuͤrliche Verbindlichkeiten zwar auch
im buͤrgerlichen Zuſtande vorhanden und fortdaurend
ſind, doch aber durch die buͤrgerlichen Geſetze mancher-
ley Modificationen erhalten koͤnnen, iſt ſchon oben (§. 17.
u. 18.) dargethan worden. Hieraus folgt,

Erſtlich: daß eine jede natuͤrliche Zwangspflicht auch
in den buͤrgerlichen Gerichten den voͤlligen Effect ha-
be, und in der Regel durch Klagen und Einreden
geltend gemacht werden koͤnne, ſo weit ihr dieſe Wir-
kung durch die buͤrgerlichen Geſetze nicht ausdruͤcklich
genommen iſt;
Zweitens: daß, wenn auch dergleichen Einſchraͤnkun-
gen wirklich vorhanden ſind, dieſe dennoch, als Aus-
nahmen von der Regel, auf das ſtrengſte erklaͤret
werden muͤſſen, mithin die natuͤrliche Verbindlichkeit
in Anſehung des gerichtlichen Effects doch nur ſoviel
verliehre, als das poſitive Recht derſelben nahment-
lich
88) Weber im angef. Buch 2. Abtheil. §. 76. hat noch
mehrere Beiſpiele hiervon.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0190" n="170"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr">1. Buch. 1. Tit.</hi></fw><lb/>
und einer reprobirten natu&#x0364;rlichen Verbindlichkeit &#x017F;etzen<lb/>
will; da die Fa&#x0364;lle doch bekannt genug &#x017F;ind, wo &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
die bu&#x0364;rgerlichen Ge&#x017F;etze die Zuru&#x0364;ckforderung des einmahl<lb/>
Gegebenen nicht ver&#x017F;tatten. So z. B. geho&#x0364;rt die Ver-<lb/>
bindlichkeit aus der Bu&#x0364;rg&#x017F;chaft einer Frauensper&#x017F;ohn of-<lb/>
fenbar zu denen &#x017F;ogenannten reprobirten natu&#x0364;rlichen<lb/>
Verbindlichkeiten, und doch &#x017F;tehet einer Frauensper&#x017F;ohn,<lb/>
welche wu&#x017F;te, daß &#x017F;ie nicht aus der Bu&#x0364;rg&#x017F;chaft gehal-<lb/>
ten &#x017F;ey, und dennoch bezahlete, die Zuru&#x0364;ckforderung<lb/>
nach den Ge&#x017F;etzen nicht zu <note place="foot" n="88)">Weber im angef. Buch 2. Abtheil. §. 76. hat noch<lb/>
mehrere Bei&#x017F;piele hiervon.</note>. So leuchtet al&#x017F;o das<lb/>
Mangelhafte, Unbe&#x017F;timmte und Irrige des gemeinen<lb/>
Lehrbegrifs allenthalben hervor.</p><lb/>
            <p>Richtiger wird die Sache auf folgende Art vorzu-<lb/>
&#x017F;tellen &#x017F;eyn. Daß natu&#x0364;rliche Verbindlichkeiten zwar auch<lb/>
im bu&#x0364;rgerlichen Zu&#x017F;tande vorhanden und fortdaurend<lb/>
&#x017F;ind, doch aber durch die bu&#x0364;rgerlichen Ge&#x017F;etze mancher-<lb/>
ley Modificationen erhalten ko&#x0364;nnen, i&#x017F;t &#x017F;chon oben (§. 17.<lb/>
u. 18.) dargethan worden. Hieraus folgt,</p><lb/>
            <list>
              <item><hi rendition="#fr">Er&#x017F;tlich:</hi> daß eine jede natu&#x0364;rliche Zwangspflicht auch<lb/>
in den bu&#x0364;rgerlichen Gerichten den vo&#x0364;lligen Effect ha-<lb/>
be, und in der Regel durch Klagen und Einreden<lb/>
geltend gemacht werden ko&#x0364;nne, &#x017F;o weit ihr die&#x017F;e Wir-<lb/>
kung durch die bu&#x0364;rgerlichen Ge&#x017F;etze nicht ausdru&#x0364;cklich<lb/>
genommen i&#x017F;t;</item><lb/>
              <item><hi rendition="#fr">Zweitens:</hi> daß, wenn auch dergleichen Ein&#x017F;chra&#x0364;nkun-<lb/>
gen wirklich vorhanden &#x017F;ind, die&#x017F;e dennoch, als Aus-<lb/>
nahmen von der Regel, auf das &#x017F;treng&#x017F;te erkla&#x0364;ret<lb/>
werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, mithin die natu&#x0364;rliche Verbindlichkeit<lb/>
in An&#x017F;ehung des gerichtlichen Effects doch nur &#x017F;oviel<lb/>
verliehre, als das po&#x017F;itive Recht der&#x017F;elben nahment-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">lich</fw><lb/></item>
            </list>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0190] 1. Buch. 1. Tit. und einer reprobirten natuͤrlichen Verbindlichkeit ſetzen will; da die Faͤlle doch bekannt genug ſind, wo ſelbſt die buͤrgerlichen Geſetze die Zuruͤckforderung des einmahl Gegebenen nicht verſtatten. So z. B. gehoͤrt die Ver- bindlichkeit aus der Buͤrgſchaft einer Frauensperſohn of- fenbar zu denen ſogenannten reprobirten natuͤrlichen Verbindlichkeiten, und doch ſtehet einer Frauensperſohn, welche wuſte, daß ſie nicht aus der Buͤrgſchaft gehal- ten ſey, und dennoch bezahlete, die Zuruͤckforderung nach den Geſetzen nicht zu 88). So leuchtet alſo das Mangelhafte, Unbeſtimmte und Irrige des gemeinen Lehrbegrifs allenthalben hervor. Richtiger wird die Sache auf folgende Art vorzu- ſtellen ſeyn. Daß natuͤrliche Verbindlichkeiten zwar auch im buͤrgerlichen Zuſtande vorhanden und fortdaurend ſind, doch aber durch die buͤrgerlichen Geſetze mancher- ley Modificationen erhalten koͤnnen, iſt ſchon oben (§. 17. u. 18.) dargethan worden. Hieraus folgt, Erſtlich: daß eine jede natuͤrliche Zwangspflicht auch in den buͤrgerlichen Gerichten den voͤlligen Effect ha- be, und in der Regel durch Klagen und Einreden geltend gemacht werden koͤnne, ſo weit ihr dieſe Wir- kung durch die buͤrgerlichen Geſetze nicht ausdruͤcklich genommen iſt; Zweitens: daß, wenn auch dergleichen Einſchraͤnkun- gen wirklich vorhanden ſind, dieſe dennoch, als Aus- nahmen von der Regel, auf das ſtrengſte erklaͤret werden muͤſſen, mithin die natuͤrliche Verbindlichkeit in Anſehung des gerichtlichen Effects doch nur ſoviel verliehre, als das poſitive Recht derſelben nahment- lich 88) Weber im angef. Buch 2. Abtheil. §. 76. hat noch mehrere Beiſpiele hiervon.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/190
Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/190>, abgerufen am 28.04.2024.