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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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de Iustitia et Iure.
gültig seyn, die eine Verbindlichkeit oder Gerechtsame
vor die andere anzunehmen, so wird es wohl die un-
umgängliche Nothwendigkeit erfordern, die bürgerli-
chen Handlungen nach ihren Eigenschaften genau ken-
nen zu lernen, um in der Beurtheilung derselben kei-
nen Fehler zu begehen.

Endlich gehört auch 3) zur Rechtstheorie eine ge-
naue Kenntnis der Folgen, welche mit denen
bürgerlichen Rechtshandlungen verknüpft
sind
. Die verschiedenen Arten der Klagen, der ver-
schiedene Proces, die verschiedene Gerechtsame, Ver-
bindlichkeiten und Strafen und deren gehörige Anwen-
dung hängen alle von diesem Theile der Rechtsgelehr-
samkeit ab. Es ist also offenbar, daß in der An-
wendung der Rechtsgelehrsamkeit überaus viel darauf
ankomme, in diesen Puncten nicht zu fehlen. Denn
welchem Rechtsgelehrten ist wohl unbekannt, daß eine
Art des Processes weit zuträglicher als die andere,
und die eine Klage entweder in Ansehung des Be-
weisses oder in Ansehung der Hauptabsicht weit nüz-
licher, als die andere, sey?

Die Praxis der Rechtsgelehrsamkeit ist
nun dagegen eine Fertigkeit, die Gesetze auf die vor-
kommende Fälle anzuwenden, die bürgerlichen Handlun-
gen mit Klugheit einzurichten, und die entstandenen
Rechtsstreitigkeiten gehörig zu behandeln, d. i. dieselben
zu untersuchen, und zu Ende zu bringen. Formelkram,
und eine historische Kenntnis von dem Laufe des Pro-
cesses machen zwar den sogenannten Schlendrian
aus, verdienen aber nicht den Nahmen der juristischen
Praxis.

Theorie und Praxis nach den angegebenen Begrif-
fen sind nun so genau mit einander vergesellschaftet, daß

sie
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de Iuſtitia et Iure.
guͤltig ſeyn, die eine Verbindlichkeit oder Gerechtſame
vor die andere anzunehmen, ſo wird es wohl die un-
umgaͤngliche Nothwendigkeit erfordern, die buͤrgerli-
chen Handlungen nach ihren Eigenſchaften genau ken-
nen zu lernen, um in der Beurtheilung derſelben kei-
nen Fehler zu begehen.

Endlich gehoͤrt auch 3) zur Rechtstheorie eine ge-
naue Kenntnis der Folgen, welche mit denen
buͤrgerlichen Rechtshandlungen verknuͤpft
ſind
. Die verſchiedenen Arten der Klagen, der ver-
ſchiedene Proces, die verſchiedene Gerechtſame, Ver-
bindlichkeiten und Strafen und deren gehoͤrige Anwen-
dung haͤngen alle von dieſem Theile der Rechtsgelehr-
ſamkeit ab. Es iſt alſo offenbar, daß in der An-
wendung der Rechtsgelehrſamkeit uͤberaus viel darauf
ankomme, in dieſen Puncten nicht zu fehlen. Denn
welchem Rechtsgelehrten iſt wohl unbekannt, daß eine
Art des Proceſſes weit zutraͤglicher als die andere,
und die eine Klage entweder in Anſehung des Be-
weiſſes oder in Anſehung der Hauptabſicht weit nuͤz-
licher, als die andere, ſey?

Die Praxis der Rechtsgelehrſamkeit iſt
nun dagegen eine Fertigkeit, die Geſetze auf die vor-
kommende Faͤlle anzuwenden, die buͤrgerlichen Handlun-
gen mit Klugheit einzurichten, und die entſtandenen
Rechtsſtreitigkeiten gehoͤrig zu behandeln, d. i. dieſelben
zu unterſuchen, und zu Ende zu bringen. Formelkram,
und eine hiſtoriſche Kenntnis von dem Laufe des Pro-
ceſſes machen zwar den ſogenannten Schlendrian
aus, verdienen aber nicht den Nahmen der juriſtiſchen
Praxis.

Theorie und Praxis nach den angegebenen Begrif-
fen ſind nun ſo genau mit einander vergeſellſchaftet, daß

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[199/0219] de Iuſtitia et Iure. guͤltig ſeyn, die eine Verbindlichkeit oder Gerechtſame vor die andere anzunehmen, ſo wird es wohl die un- umgaͤngliche Nothwendigkeit erfordern, die buͤrgerli- chen Handlungen nach ihren Eigenſchaften genau ken- nen zu lernen, um in der Beurtheilung derſelben kei- nen Fehler zu begehen. Endlich gehoͤrt auch 3) zur Rechtstheorie eine ge- naue Kenntnis der Folgen, welche mit denen buͤrgerlichen Rechtshandlungen verknuͤpft ſind. Die verſchiedenen Arten der Klagen, der ver- ſchiedene Proces, die verſchiedene Gerechtſame, Ver- bindlichkeiten und Strafen und deren gehoͤrige Anwen- dung haͤngen alle von dieſem Theile der Rechtsgelehr- ſamkeit ab. Es iſt alſo offenbar, daß in der An- wendung der Rechtsgelehrſamkeit uͤberaus viel darauf ankomme, in dieſen Puncten nicht zu fehlen. Denn welchem Rechtsgelehrten iſt wohl unbekannt, daß eine Art des Proceſſes weit zutraͤglicher als die andere, und die eine Klage entweder in Anſehung des Be- weiſſes oder in Anſehung der Hauptabſicht weit nuͤz- licher, als die andere, ſey? Die Praxis der Rechtsgelehrſamkeit iſt nun dagegen eine Fertigkeit, die Geſetze auf die vor- kommende Faͤlle anzuwenden, die buͤrgerlichen Handlun- gen mit Klugheit einzurichten, und die entſtandenen Rechtsſtreitigkeiten gehoͤrig zu behandeln, d. i. dieſelben zu unterſuchen, und zu Ende zu bringen. Formelkram, und eine hiſtoriſche Kenntnis von dem Laufe des Pro- ceſſes machen zwar den ſogenannten Schlendrian aus, verdienen aber nicht den Nahmen der juriſtiſchen Praxis. Theorie und Praxis nach den angegebenen Begrif- fen ſind nun ſo genau mit einander vergeſellſchaftet, daß ſie N 4

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/219>, abgerufen am 29.04.2024.