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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. B. 1. Tit.
sie von einander nicht getrennt werden können, daher es
eine ungereimte Frage ist, ob nicht die eine vor der an-
dern einen Vorzug habe 37)? denn die wahre Praxis
läßt sich ohne eine gründliche Kenntnis der Theorie des
Rechts ohnmöglich gedenken. Die Theorie ist also nur
um der Praxis willen da. Die Praxis hingegen muß
der Theorie erst das Leben geben; die Begriffe, die
man bey der Theorie sammlet, werden erst durch die
Praxis in die gehörige Deutlichkeit gesetzet, und be-
kommen daher ein Licht, welches ihr durch Umschrei-
bung ohnmöglich gegeben werden kann. Derjenige nun,
welcher nicht nur eine gründliche und wissenschaftliche
Kenntnis von der Theorie sowohl als Praxi der Rechts-
gelahrtheit besitzet, sondern auch dieselbe zur Ehre des
allergerechtesten Richters der Welt, und zum Wohl
des Nächsten wirklich ausübt, heißt ein Jurist, ein
Rechtsgelehrter im eigentlichen Verstande. Mit die-
sem verwechsele man nicht 1) einen Leguleius, worun-
ter man einen solchen verstehet, der keine genaue, son-
dern eine blos historische Kenntnis von den Gesetzen
hat, sie zwar den Worten nach weiß, und überall mit
seiner Gesezkenntnis prahlt; aber den Geist derselben
nicht verstehet, und daher eine ungeschickte Anwendung

da-
37) S. Io. Tob. carrach Diss. de conflictu theo-
riae et praxeos iuris
. Halae
1736. und Mart.
Gottl.
pauli Diss. de theoriae et praxis iuridi-
cae discordia
. Lips.
1747. In einem andern Ver-
stande, nehmlich wenn man sich unter Praxis den Ge-
richtsgebrauch oder die Gültigkeit der Gesetze in den
Gerichten gedenket, kann ein Conflictus zwischen der
Theorie und Praxis des Rechts statt finden. S. net-
telbladt
in System. element. doctrinar. pro-
paedeuticar. iurispr. pos. germanor. comm.

§. 41. S. 33.

1. B. 1. Tit.
ſie von einander nicht getrennt werden koͤnnen, daher es
eine ungereimte Frage iſt, ob nicht die eine vor der an-
dern einen Vorzug habe 37)? denn die wahre Praxis
laͤßt ſich ohne eine gruͤndliche Kenntnis der Theorie des
Rechts ohnmoͤglich gedenken. Die Theorie iſt alſo nur
um der Praxis willen da. Die Praxis hingegen muß
der Theorie erſt das Leben geben; die Begriffe, die
man bey der Theorie ſammlet, werden erſt durch die
Praxis in die gehoͤrige Deutlichkeit geſetzet, und be-
kommen daher ein Licht, welches ihr durch Umſchrei-
bung ohnmoͤglich gegeben werden kann. Derjenige nun,
welcher nicht nur eine gruͤndliche und wiſſenſchaftliche
Kenntnis von der Theorie ſowohl als Praxi der Rechts-
gelahrtheit beſitzet, ſondern auch dieſelbe zur Ehre des
allergerechteſten Richters der Welt, und zum Wohl
des Naͤchſten wirklich ausuͤbt, heißt ein Juriſt, ein
Rechtsgelehrter im eigentlichen Verſtande. Mit die-
ſem verwechſele man nicht 1) einen Leguleius, worun-
ter man einen ſolchen verſtehet, der keine genaue, ſon-
dern eine blos hiſtoriſche Kenntnis von den Geſetzen
hat, ſie zwar den Worten nach weiß, und uͤberall mit
ſeiner Geſezkenntnis prahlt; aber den Geiſt derſelben
nicht verſtehet, und daher eine ungeſchickte Anwendung

da-
37) S. Io. Tob. carrach Diſſ. de conflictu theo-
riae et praxeos iuris
. Halae
1736. und Mart.
Gottl.
pauli Diſſ. de theoriae et praxis iuridi-
cae diſcordia
. Lipſ.
1747. In einem andern Ver-
ſtande, nehmlich wenn man ſich unter Praxis den Ge-
richtsgebrauch oder die Guͤltigkeit der Geſetze in den
Gerichten gedenket, kann ein Conflictus zwiſchen der
Theorie und Praxis des Rechts ſtatt finden. S. net-
telbladt
in Syſtem. element. doctrinar. pro-
paedeuticar. iurispr. poſ. germanor. comm.

§. 41. S. 33.
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[200/0220] 1. B. 1. Tit. ſie von einander nicht getrennt werden koͤnnen, daher es eine ungereimte Frage iſt, ob nicht die eine vor der an- dern einen Vorzug habe 37)? denn die wahre Praxis laͤßt ſich ohne eine gruͤndliche Kenntnis der Theorie des Rechts ohnmoͤglich gedenken. Die Theorie iſt alſo nur um der Praxis willen da. Die Praxis hingegen muß der Theorie erſt das Leben geben; die Begriffe, die man bey der Theorie ſammlet, werden erſt durch die Praxis in die gehoͤrige Deutlichkeit geſetzet, und be- kommen daher ein Licht, welches ihr durch Umſchrei- bung ohnmoͤglich gegeben werden kann. Derjenige nun, welcher nicht nur eine gruͤndliche und wiſſenſchaftliche Kenntnis von der Theorie ſowohl als Praxi der Rechts- gelahrtheit beſitzet, ſondern auch dieſelbe zur Ehre des allergerechteſten Richters der Welt, und zum Wohl des Naͤchſten wirklich ausuͤbt, heißt ein Juriſt, ein Rechtsgelehrter im eigentlichen Verſtande. Mit die- ſem verwechſele man nicht 1) einen Leguleius, worun- ter man einen ſolchen verſtehet, der keine genaue, ſon- dern eine blos hiſtoriſche Kenntnis von den Geſetzen hat, ſie zwar den Worten nach weiß, und uͤberall mit ſeiner Geſezkenntnis prahlt; aber den Geiſt derſelben nicht verſtehet, und daher eine ungeſchickte Anwendung da- 37) S. Io. Tob. carrach Diſſ. de conflictu theo- riae et praxeos iuris. Halae 1736. und Mart. Gottl. pauli Diſſ. de theoriae et praxis iuridi- cae diſcordia. Lipſ. 1747. In einem andern Ver- ſtande, nehmlich wenn man ſich unter Praxis den Ge- richtsgebrauch oder die Guͤltigkeit der Geſetze in den Gerichten gedenket, kann ein Conflictus zwiſchen der Theorie und Praxis des Rechts ſtatt finden. S. net- telbladt in Syſtem. element. doctrinar. pro- paedeuticar. iurispr. poſ. germanor. comm. §. 41. S. 33.

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/220>, abgerufen am 16.04.2024.