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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 1. Tit.
Derowegen sagt Ulpian: nec servus quidquam de-
bere potest, nec servo potest deberi.
Als Mensch
hingegen konnte er unstreitig Rechte und Verbindlichkei-
ten haben. Aber nach der Sprache der Juristen waren
sie's nicht in der eigentlichen Bedeutung, weil das Ge-
setz sie nicht dafür erkannte, und der Name der Ver-
bindlichkeit hatte hier mehr seine Beziehung auf das
Factum der Convention, als die Eigenschaften einer
gesetzlichen Verbindlichkeit 20).

Ich bin weit entfernt, diese Gesetzerklärungen als
unrichtig zu verwerfen, gebe vielmehr zu, daß, wenn
man ius für ein, durch die Civilgesetze gebildetes und
anerkanntes Recht, und factum für natürliches Recht,
oder natürliche Verbindlichkeit nimmt, sich manche dieser
Stellen vortreflich erklären lassen; ob aber diese Bedeu-
tung bey allen oben angeführten Gesetzstellen deßwegen
nothwendig zum Grunde gelegt werden müsse, zweifle ich
doch sehr; ich glaube vielmehr, daß manche derselben weit
natürlicher interpretirt werden könne, wenn wir die oben
nr. 1. angeführte Bedeutung des Worts ius zum Grunde
legen, und das Wort factum in seiner eigentlichen Be-
deutung nehmen. Bey der L. 48. §. 1. D. de acquir.
rer. dom.
und L. 38. §. 6. D. de verbor. obligat. ist
dieses ganz offenbar. Ich glaube aber auch, daß sich
dieses von L. 27 §. 2. D. de pactis ebenfalls behaup-
ten lasse. Paulus, aus dessen dritten Buch über das
Ediet dieses Fragment genommen ist, sagt daselbst:
Wenn einer, der die Schuld erlassen hat, (pactus, ne
peteret,)
dieselbe sich durch einen zweiten Vertrag wieder-
herstellen lassen (postea convenit, ut peteret), so wird
das erste pactum durch das zweite aufgehoben; jedoch
nicht ipso iure, wie eine Stipulation, wenn die Par-

theyen
20) Gmelin a. a. O. und §. 58.

1. Buch. 1. Tit.
Derowegen ſagt Ulpian: nec ſervus quidquam de-
bere poteſt, nec ſervo poteſt deberi.
Als Menſch
hingegen konnte er unſtreitig Rechte und Verbindlichkei-
ten haben. Aber nach der Sprache der Juriſten waren
ſie’s nicht in der eigentlichen Bedeutung, weil das Ge-
ſetz ſie nicht dafuͤr erkannte, und der Name der Ver-
bindlichkeit hatte hier mehr ſeine Beziehung auf das
Factum der Convention, als die Eigenſchaften einer
geſetzlichen Verbindlichkeit 20).

Ich bin weit entfernt, dieſe Geſetzerklaͤrungen als
unrichtig zu verwerfen, gebe vielmehr zu, daß, wenn
man ius fuͤr ein, durch die Civilgeſetze gebildetes und
anerkanntes Recht, und factum fuͤr natuͤrliches Recht,
oder natuͤrliche Verbindlichkeit nimmt, ſich manche dieſer
Stellen vortreflich erklaͤren laſſen; ob aber dieſe Bedeu-
tung bey allen oben angefuͤhrten Geſetzſtellen deßwegen
nothwendig zum Grunde gelegt werden muͤſſe, zweifle ich
doch ſehr; ich glaube vielmehr, daß manche derſelben weit
natuͤrlicher interpretirt werden koͤnne, wenn wir die oben
nr. 1. angefuͤhrte Bedeutung des Worts ius zum Grunde
legen, und das Wort factum in ſeiner eigentlichen Be-
deutung nehmen. Bey der L. 48. §. 1. D. de acquir.
rer. dom.
und L. 38. §. 6. D. de verbor. obligat. iſt
dieſes ganz offenbar. Ich glaube aber auch, daß ſich
dieſes von L. 27 §. 2. D. de pactis ebenfalls behaup-
ten laſſe. Paulus, aus deſſen dritten Buch uͤber das
Ediet dieſes Fragment genommen iſt, ſagt daſelbſt:
Wenn einer, der die Schuld erlaſſen hat, (pactus, ne
peteret,)
dieſelbe ſich durch einen zweiten Vertrag wieder-
herſtellen laſſen (poſtea convenit, ut peteret), ſo wird
das erſte pactum durch das zweite aufgehoben; jedoch
nicht ipſo iure, wie eine Stipulation, wenn die Par-

theyen
20) Gmelin a. a. O. und §. 58.
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[16/0036] 1. Buch. 1. Tit. Derowegen ſagt Ulpian: nec ſervus quidquam de- bere poteſt, nec ſervo poteſt deberi. Als Menſch hingegen konnte er unſtreitig Rechte und Verbindlichkei- ten haben. Aber nach der Sprache der Juriſten waren ſie’s nicht in der eigentlichen Bedeutung, weil das Ge- ſetz ſie nicht dafuͤr erkannte, und der Name der Ver- bindlichkeit hatte hier mehr ſeine Beziehung auf das Factum der Convention, als die Eigenſchaften einer geſetzlichen Verbindlichkeit 20). Ich bin weit entfernt, dieſe Geſetzerklaͤrungen als unrichtig zu verwerfen, gebe vielmehr zu, daß, wenn man ius fuͤr ein, durch die Civilgeſetze gebildetes und anerkanntes Recht, und factum fuͤr natuͤrliches Recht, oder natuͤrliche Verbindlichkeit nimmt, ſich manche dieſer Stellen vortreflich erklaͤren laſſen; ob aber dieſe Bedeu- tung bey allen oben angefuͤhrten Geſetzſtellen deßwegen nothwendig zum Grunde gelegt werden muͤſſe, zweifle ich doch ſehr; ich glaube vielmehr, daß manche derſelben weit natuͤrlicher interpretirt werden koͤnne, wenn wir die oben nr. 1. angefuͤhrte Bedeutung des Worts ius zum Grunde legen, und das Wort factum in ſeiner eigentlichen Be- deutung nehmen. Bey der L. 48. §. 1. D. de acquir. rer. dom. und L. 38. §. 6. D. de verbor. obligat. iſt dieſes ganz offenbar. Ich glaube aber auch, daß ſich dieſes von L. 27 §. 2. D. de pactis ebenfalls behaup- ten laſſe. Paulus, aus deſſen dritten Buch uͤber das Ediet dieſes Fragment genommen iſt, ſagt daſelbſt: Wenn einer, der die Schuld erlaſſen hat, (pactus, ne peteret,) dieſelbe ſich durch einen zweiten Vertrag wieder- herſtellen laſſen (poſtea convenit, ut peteret), ſo wird das erſte pactum durch das zweite aufgehoben; jedoch nicht ipſo iure, wie eine Stipulation, wenn die Par- theyen 20) Gmelin a. a. O. und §. 58.

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/36>, abgerufen am 19.04.2024.