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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 2. Tit.
hen, die man in Teutschland nie aufgenommen hat, oder
deren Gegenstand heutiges Tages cessirt, gar keine An-
wendung finden können. Vermöge unserer Regel fällt
also die heutige Anwendung des römischen Rechts weg,

1) wenn selbst das Object des Gesetzes
heutiges Tages gar nicht mehrexistiret
. Da-
hin gehören z. B. diejenigen Verordnungen, welche die
besondere Regimentsverfassung des römischen Staats und
dessen Verwaltung betreffen. Daher fällt heut zu Ta-
ge die ganze Reihe von Titeln, welche von dem Amt
der römischen Obrigkeiten, als de officio praefecti prae-
torio, praefecti urbi, praefecti vigilum, praetorum,
proconsulis, praefecti augustalis, praesidis
u. s. w. handeln,
(Lib. I. Tit 9. 22.) ganz weg Aus der nehmlichen
Ursach finder auch die Verordnung des römischen Rechts
von der Legitimation unehelicher Kinder per oblatio-
nem Curiae
bey uns keine statt. Hieraus ersiehet man
zugleich, wie nöthig es sey, um über den Gebrauch und
Nichtgebrauch römischer Gesetze richtig urtheilen zu kön-
nen, mit den Gegenständen derselben genau bekannt zu
seyn? und wie unentbehrlich eben aus diesem Gesichts-
puncte das Studium der römischen Alterthümer sey?

2) Kann ein römisches Gesez auch dann
nicht mehr gelten, wenn der wesentliche
Grund desselben, ohne welchen sich das Ge-
sez gar nicht denken läßt, bey uns ganz weg-
fällt
. Nur unter dieser Bestimmung ist die Regel
wahr: cessante ratione legis, cessat eius dispositio,
die nur gar zu oft, wenn es auf den heutigen Ge-
brauch einer justinianeischen Verordnung ankommt, ge-
mißbraucht wird. Ein Gesez kann mancherley Veran-
lassungen, kann verschiedene Ursachen haben. Gesezt nun
auch, die Umstände hätten sich geändert, es fiele diese

oder

1. Buch. 2. Tit.
hen, die man in Teutſchland nie aufgenommen hat, oder
deren Gegenſtand heutiges Tages ceſſirt, gar keine An-
wendung finden koͤnnen. Vermoͤge unſerer Regel faͤllt
alſo die heutige Anwendung des roͤmiſchen Rechts weg,

1) wenn ſelbſt das Object des Geſetzes
heutiges Tages gar nicht mehrexiſtiret
. Da-
hin gehoͤren z. B. diejenigen Verordnungen, welche die
beſondere Regimentsverfaſſung des roͤmiſchen Staats und
deſſen Verwaltung betreffen. Daher faͤllt heut zu Ta-
ge die ganze Reihe von Titeln, welche von dem Amt
der roͤmiſchen Obrigkeiten, als de officio praefecti prae-
torio, praefecti urbi, praefecti vigilum, praetorum,
proconſulis, praefecti auguſtalis, praeſidis
u. ſ. w. handeln,
(Lib. I. Tit 9. 22.) ganz weg Aus der nehmlichen
Urſach finder auch die Verordnung des roͤmiſchen Rechts
von der Legitimation unehelicher Kinder per oblatio-
nem Curiae
bey uns keine ſtatt. Hieraus erſiehet man
zugleich, wie noͤthig es ſey, um uͤber den Gebrauch und
Nichtgebrauch roͤmiſcher Geſetze richtig urtheilen zu koͤn-
nen, mit den Gegenſtaͤnden derſelben genau bekannt zu
ſeyn? und wie unentbehrlich eben aus dieſem Geſichts-
puncte das Studium der roͤmiſchen Alterthuͤmer ſey?

2) Kann ein roͤmiſches Geſez auch dann
nicht mehr gelten, wenn der weſentliche
Grund deſſelben, ohne welchen ſich das Ge-
ſez gar nicht denken laͤßt, bey uns ganz weg-
faͤllt
. Nur unter dieſer Beſtimmung iſt die Regel
wahr: ceſſante ratione legis, ceſſat eius diſpoſitio,
die nur gar zu oft, wenn es auf den heutigen Ge-
brauch einer juſtinianeiſchen Verordnung ankommt, ge-
mißbraucht wird. Ein Geſez kann mancherley Veran-
laſſungen, kann verſchiedene Urſachen haben. Geſezt nun
auch, die Umſtaͤnde haͤtten ſich geaͤndert, es fiele dieſe

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[352/0372] 1. Buch. 2. Tit. hen, die man in Teutſchland nie aufgenommen hat, oder deren Gegenſtand heutiges Tages ceſſirt, gar keine An- wendung finden koͤnnen. Vermoͤge unſerer Regel faͤllt alſo die heutige Anwendung des roͤmiſchen Rechts weg, 1) wenn ſelbſt das Object des Geſetzes heutiges Tages gar nicht mehrexiſtiret. Da- hin gehoͤren z. B. diejenigen Verordnungen, welche die beſondere Regimentsverfaſſung des roͤmiſchen Staats und deſſen Verwaltung betreffen. Daher faͤllt heut zu Ta- ge die ganze Reihe von Titeln, welche von dem Amt der roͤmiſchen Obrigkeiten, als de officio praefecti prae- torio, praefecti urbi, praefecti vigilum, praetorum, proconſulis, praefecti auguſtalis, praeſidis u. ſ. w. handeln, (Lib. I. Tit 9. 22.) ganz weg Aus der nehmlichen Urſach finder auch die Verordnung des roͤmiſchen Rechts von der Legitimation unehelicher Kinder per oblatio- nem Curiae bey uns keine ſtatt. Hieraus erſiehet man zugleich, wie noͤthig es ſey, um uͤber den Gebrauch und Nichtgebrauch roͤmiſcher Geſetze richtig urtheilen zu koͤn- nen, mit den Gegenſtaͤnden derſelben genau bekannt zu ſeyn? und wie unentbehrlich eben aus dieſem Geſichts- puncte das Studium der roͤmiſchen Alterthuͤmer ſey? 2) Kann ein roͤmiſches Geſez auch dann nicht mehr gelten, wenn der weſentliche Grund deſſelben, ohne welchen ſich das Ge- ſez gar nicht denken laͤßt, bey uns ganz weg- faͤllt. Nur unter dieſer Beſtimmung iſt die Regel wahr: ceſſante ratione legis, ceſſat eius diſpoſitio, die nur gar zu oft, wenn es auf den heutigen Ge- brauch einer juſtinianeiſchen Verordnung ankommt, ge- mißbraucht wird. Ein Geſez kann mancherley Veran- laſſungen, kann verſchiedene Urſachen haben. Geſezt nun auch, die Umſtaͤnde haͤtten ſich geaͤndert, es fiele dieſe oder

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/372>, abgerufen am 28.03.2024.