wenn man unter ius ein nach den Gesetzen zustehendes Vermögen etwas zu thun verstehet, so hat jener Grund- satz den Verstand: Wenn die Gesetze jemanden ein Recht ertheilen, so verpflichten sie seine Mitbürger, die Aus- übung desselben geschehen zu lassen. Denn niemand darf den andern in seinem Recht kränken, oder ihn an dessen Ausübung hindern.
Was ist nun aber Verbindlichkeit? Der Be- grif, den wir in dem Römischen Gesetzbuche (pr. I. de obligat.) davon finden, ist folgender: obligatio est iu- ris vinculum, quo necessitate adstringimur, alicuius rei solvendae, secundum nostrae civitatis iura. Es ist ganz offenbar, daß Justinian keinen allgemeinen Begrif gegeben, sondern eine solche Verbindlichkeit de- finirt hat, die bürgerlich wirksam ist, und aus welcher nach Römischen Rechten eine Klage gegen den Schuld- ner erhoben werden konnte. Dies zeigen die Worte secundum nostrae civitatis iura unter andern sehr deut- lich an; es scheint dies auch der recht eigentliche Begrif der Obligation im Sinn des Röm. Civilrechts zu seyn, wenigstens kann man sich's nun erklären, wenn Julian in L. 16. § 4. D. de fideiussor. sagt, eine natürliche Verbindlichkeit, die keine Klage wirkt, sey nur uneigent- lich und per abusionem eine obligatio zu nennen; ja wie lebhaft sich die Römischen Juristen überzeugt ha- ben müssen, daß nur eine vollkommene Verbindlichkeit, auf deren Erfüllung mit Beystand der Rechte geklagt werden kann, den Namen einer Obligation verdiene, lässet sich weiter daraus erkennen, wenn in L. 7. §. 4. D. de pactis gesagt wird, ein sogenanntes pactum nu- dum wirke keine Verbindlichkeit, (d. i. kein Recht zu klagen) sondern nur eine Exception; und derjenige nur sey für einen Schuldner zu halten, a quo invito exigi
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de Iuſtitia et Iure.
wenn man unter ius ein nach den Geſetzen zuſtehendes Vermoͤgen etwas zu thun verſtehet, ſo hat jener Grund- ſatz den Verſtand: Wenn die Geſetze jemanden ein Recht ertheilen, ſo verpflichten ſie ſeine Mitbuͤrger, die Aus- uͤbung deſſelben geſchehen zu laſſen. Denn niemand darf den andern in ſeinem Recht kraͤnken, oder ihn an deſſen Ausuͤbung hindern.
Was iſt nun aber Verbindlichkeit? Der Be- grif, den wir in dem Roͤmiſchen Geſetzbuche (pr. I. de obligat.) davon finden, iſt folgender: obligatio eſt iu- ris vinculum, quo neceſſitate adſtringimur, alicuius rei ſolvendae, ſecundum noſtrae civitatis iura. Es iſt ganz offenbar, daß Juſtinian keinen allgemeinen Begrif gegeben, ſondern eine ſolche Verbindlichkeit de- finirt hat, die buͤrgerlich wirkſam iſt, und aus welcher nach Roͤmiſchen Rechten eine Klage gegen den Schuld- ner erhoben werden konnte. Dies zeigen die Worte ſecundum noſtrae civitatis iura unter andern ſehr deut- lich an; es ſcheint dies auch der recht eigentliche Begrif der Obligation im Sinn des Roͤm. Civilrechts zu ſeyn, wenigſtens kann man ſich’s nun erklaͤren, wenn Julian in L. 16. § 4. D. de fideiuſſor. ſagt, eine natuͤrliche Verbindlichkeit, die keine Klage wirkt, ſey nur uneigent- lich und per abuſionem eine obligatio zu nennen; ja wie lebhaft ſich die Roͤmiſchen Juriſten uͤberzeugt ha- ben muͤſſen, daß nur eine vollkommene Verbindlichkeit, auf deren Erfuͤllung mit Beyſtand der Rechte geklagt werden kann, den Namen einer Obligation verdiene, laͤſſet ſich weiter daraus erkennen, wenn in L. 7. §. 4. D. de pactis geſagt wird, ein ſogenanntes pactum nu- dum wirke keine Verbindlichkeit, (d. i. kein Recht zu klagen) ſondern nur eine Exception; und derjenige nur ſey fuͤr einen Schuldner zu halten, a quo invito exigi
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de Iuſtitia et Iure.
wenn man unter ius ein nach den Geſetzen zuſtehendes
Vermoͤgen etwas zu thun verſtehet, ſo hat jener Grund-
ſatz den Verſtand: Wenn die Geſetze jemanden ein Recht
ertheilen, ſo verpflichten ſie ſeine Mitbuͤrger, die Aus-
uͤbung deſſelben geſchehen zu laſſen. Denn niemand
darf den andern in ſeinem Recht kraͤnken, oder ihn an
deſſen Ausuͤbung hindern.
Was iſt nun aber Verbindlichkeit? Der Be-
grif, den wir in dem Roͤmiſchen Geſetzbuche (pr. I. de
obligat.) davon finden, iſt folgender: obligatio eſt iu-
ris vinculum, quo neceſſitate adſtringimur, alicuius
rei ſolvendae, ſecundum noſtrae civitatis iura. Es
iſt ganz offenbar, daß Juſtinian keinen allgemeinen
Begrif gegeben, ſondern eine ſolche Verbindlichkeit de-
finirt hat, die buͤrgerlich wirkſam iſt, und aus welcher
nach Roͤmiſchen Rechten eine Klage gegen den Schuld-
ner erhoben werden konnte. Dies zeigen die Worte
ſecundum noſtrae civitatis iura unter andern ſehr deut-
lich an; es ſcheint dies auch der recht eigentliche Begrif
der Obligation im Sinn des Roͤm. Civilrechts zu ſeyn,
wenigſtens kann man ſich’s nun erklaͤren, wenn Julian
in L. 16. § 4. D. de fideiuſſor. ſagt, eine natuͤrliche
Verbindlichkeit, die keine Klage wirkt, ſey nur uneigent-
lich und per abuſionem eine obligatio zu nennen;
ja wie lebhaft ſich die Roͤmiſchen Juriſten uͤberzeugt ha-
ben muͤſſen, daß nur eine vollkommene Verbindlichkeit,
auf deren Erfuͤllung mit Beyſtand der Rechte geklagt
werden kann, den Namen einer Obligation verdiene,
laͤſſet ſich weiter daraus erkennen, wenn in L. 7. §. 4.
D. de pactis geſagt wird, ein ſogenanntes pactum nu-
dum wirke keine Verbindlichkeit, (d. i. kein Recht zu
klagen) ſondern nur eine Exception; und derjenige nur
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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/41>, abgerufen am 15.10.2024.
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