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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 1. Tit.

Fünftens: da eine mittelbare Verbindlichkeit
ein factum obligatorium zu ihrer Würklichkeit erfor-
dert, so kommt es nun auf die verschiedenen Arten der
Handlung an, um eine richtige und vollständige Theo-
rie von Entstehung der Verbindlichkeit bilden zu können.
Gewöhnlich pflegt man in den gemeinen Lehrbüchern die
facta, woraus Verbindlichkeiten entspringen, auf zwey
Hauptclassen zu reduciren. Erlaubte -- und uner-
laubte
Handlungen. Erstere, sagt man, sind die
Verträge, leztere hingegen die Verbrechen. Da-
her die bekannte Regel der Doctorum, welche den
Grund aller mittelbaren Verbindlichkeit in sich fassen
soll: omnis obligatio mediata oritur vel ex pacto
vel ex delicto.
Allein wie unzulänglich diese Theorie
sey, und wie wenig sie dem System der Röm. und
heutigen Rechtsgelahrtheit angemessen, lässet sich leicht
erweisen. Der Kaiser Justinian bestimmt in seinen
Institutionen (§. ult I. de obligat.) den Entste-
hungsgrund der mittelbaren Verbindlichkeiten dahin: ob-
ligationes aut ex contractu sunt, aut quasi ex con-
tractu, aut ex maleficio, aut quasi ex maleficio.

Wo bleiben nun nach der gemeinen Theorie die hier
ausdrücklich genannte obligationes, quae quasi ex con-
tractu nascuntur,
wovon ein ganzer Titul der Insti-
tutionen handelt (Tit. 28. Lib. III.)? Diese entstehen

doch
darauf an, ob überhaupt ein Factum desjenigen, welchem
die Verbindlichkeit obliegt, vorhanden, oder nicht, sondern
ob sie ihren nächsten Grund (causam proximam) aus ge-
setzlicher Disposition, oder aus einer moralischen Hand-
lung desjenigen, dem sie obliegt, ableite. Setzt man den
distinctiven Character der unmittelbaren und mittelbaren
Verbindlichkeit darinn, so ist die Eintheilung vollkommen
gerechtfertiget. S. nettelbladt in Systemate
elementari iurispr. positivae Germanor.
commun. generalis.
Halae 1781. §. 295. et
296.
1. Buch. 1. Tit.

Fuͤnftens: da eine mittelbare Verbindlichkeit
ein factum obligatorium zu ihrer Wuͤrklichkeit erfor-
dert, ſo kommt es nun auf die verſchiedenen Arten der
Handlung an, um eine richtige und vollſtaͤndige Theo-
rie von Entſtehung der Verbindlichkeit bilden zu koͤnnen.
Gewoͤhnlich pflegt man in den gemeinen Lehrbuͤchern die
facta, woraus Verbindlichkeiten entſpringen, auf zwey
Hauptclaſſen zu reduciren. Erlaubte — und uner-
laubte
Handlungen. Erſtere, ſagt man, ſind die
Vertraͤge, leztere hingegen die Verbrechen. Da-
her die bekannte Regel der Doctorum, welche den
Grund aller mittelbaren Verbindlichkeit in ſich faſſen
ſoll: omnis obligatio mediata oritur vel ex pacto
vel ex delicto.
Allein wie unzulaͤnglich dieſe Theorie
ſey, und wie wenig ſie dem Syſtem der Roͤm. und
heutigen Rechtsgelahrtheit angemeſſen, laͤſſet ſich leicht
erweiſen. Der Kaiſer Juſtinian beſtimmt in ſeinen
Inſtitutionen (§. ult I. de obligat.) den Entſte-
hungsgrund der mittelbaren Verbindlichkeiten dahin: ob-
ligationes aut ex contractu ſunt, aut quaſi ex con-
tractu, aut ex maleficio, aut quaſi ex maleficio.

Wo bleiben nun nach der gemeinen Theorie die hier
ausdruͤcklich genannte obligationes, quae quaſi ex con-
tractu naſcuntur,
wovon ein ganzer Titul der Inſti-
tutionen handelt (Tit. 28. Lib. III.)? Dieſe entſtehen

doch
darauf an, ob uͤberhaupt ein Factum desjenigen, welchem
die Verbindlichkeit obliegt, vorhanden, oder nicht, ſondern
ob ſie ihren naͤchſten Grund (cauſam proximam) aus ge-
ſetzlicher Dispoſition, oder aus einer moraliſchen Hand-
lung desjenigen, dem ſie obliegt, ableite. Setzt man den
diſtinctiven Character der unmittelbaren und mittelbaren
Verbindlichkeit darinn, ſo iſt die Eintheilung vollkommen
gerechtfertiget. S. nettelbladt in Syſtemate
elementari iurispr. poſitivae Germanor.
commun. generalis.
Halae 1781. §. 295. et
296.
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[28/0048] 1. Buch. 1. Tit. Fuͤnftens: da eine mittelbare Verbindlichkeit ein factum obligatorium zu ihrer Wuͤrklichkeit erfor- dert, ſo kommt es nun auf die verſchiedenen Arten der Handlung an, um eine richtige und vollſtaͤndige Theo- rie von Entſtehung der Verbindlichkeit bilden zu koͤnnen. Gewoͤhnlich pflegt man in den gemeinen Lehrbuͤchern die facta, woraus Verbindlichkeiten entſpringen, auf zwey Hauptclaſſen zu reduciren. Erlaubte — und uner- laubte Handlungen. Erſtere, ſagt man, ſind die Vertraͤge, leztere hingegen die Verbrechen. Da- her die bekannte Regel der Doctorum, welche den Grund aller mittelbaren Verbindlichkeit in ſich faſſen ſoll: omnis obligatio mediata oritur vel ex pacto vel ex delicto. Allein wie unzulaͤnglich dieſe Theorie ſey, und wie wenig ſie dem Syſtem der Roͤm. und heutigen Rechtsgelahrtheit angemeſſen, laͤſſet ſich leicht erweiſen. Der Kaiſer Juſtinian beſtimmt in ſeinen Inſtitutionen (§. ult I. de obligat.) den Entſte- hungsgrund der mittelbaren Verbindlichkeiten dahin: ob- ligationes aut ex contractu ſunt, aut quaſi ex con- tractu, aut ex maleficio, aut quaſi ex maleficio. Wo bleiben nun nach der gemeinen Theorie die hier ausdruͤcklich genannte obligationes, quae quaſi ex con- tractu naſcuntur, wovon ein ganzer Titul der Inſti- tutionen handelt (Tit. 28. Lib. III.)? Dieſe entſtehen doch 39) 39) darauf an, ob uͤberhaupt ein Factum desjenigen, welchem die Verbindlichkeit obliegt, vorhanden, oder nicht, ſondern ob ſie ihren naͤchſten Grund (cauſam proximam) aus ge- ſetzlicher Dispoſition, oder aus einer moraliſchen Hand- lung desjenigen, dem ſie obliegt, ableite. Setzt man den diſtinctiven Character der unmittelbaren und mittelbaren Verbindlichkeit darinn, ſo iſt die Eintheilung vollkommen gerechtfertiget. S. nettelbladt in Syſtemate elementari iurispr. poſitivae Germanor. commun. generalis. Halae 1781. §. 295. et 296.

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/48>, abgerufen am 26.04.2024.