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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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de Legibus, Senatusconsultis et longa consuet.
§. 93.
Von der Veränderung positiver Gesetze.

Positive Gesetze können auf mancherley Art, und
aus verschiedenen Ursachen ihre Kraft verliehren. Hier-
von muß nun noch kürzlich gehandelt werden.

I) Kann der Gesetzgeber selbst entweder ausdrücklich
oder stillschweigend erklären, daß das Gesetz nicht mehr
gelten solle. Denn von seinem Willen hängt die Gültig-
keit desselben ab; und wenn auch dem Gesetz die Clausel:
daß es auf immer gelten, und nie wieder ge-
ändert oder gar aufgehoben werden solle
,
wäre angehänget worden 12); so kann doch dadurch die
Macht des Gesetzgebers im mindesten nicht eingeschränkt
werden, insofern er nicht etwa vermittelst eines Vertra-
ges solches versprochen hätte 13). Der Gesetzgeber hebt
nun entweder das ganze Gesetz schlechthin auf, dies heißt
in der Sprache der Gesetze, lex abrogatur; oder er ver-
ordnet etwas anders, so einem vorhergehenden Gesetz ge-
rade entgegen ist, -- legi obrogatur; oder es wird ein
vorhergehendes Gesetz durch ein nachher erfolgtes neues
Gesetz nur in einem gewissen Puncte abgeändert, --
legi derogatur seu exrogatur; oder es wird einem Gesetze
noch etwas neues hinzugefügt, und solches mit einem
neuen Anhange vermehrt, -- legi subrogatur 14). Wenn

nun
12) Wir finden auch in verschiedenen römischen Gesetzen der-
gleichen clausulam derogatoriam. Z. B. L. 6. C. de sec. nupt.
Hac edictali Lege in perpetuum valitura san-
cimus
etc.
Unter den teutschen Reichsgesetzen giebt uns die
güldene Bulle ein Beispiel.
13) S. Io. Nic. hertii Diss. de lege, clausula, ut ne abrogari
unquam possit, munita. in Opusc. Vol. I. Tom.
3. S. 1--23.
und gerstlacher Corp. iur. germ. T. I. S. 58.
14) ulpianus Fragm. Tit. I. §. 3. beym schulting in Iu-
rispr. Antejust.
S. 563. L. 102. D. de V. S.
J i 3
de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
§. 93.
Von der Veraͤnderung poſitiver Geſetze.

Poſitive Geſetze koͤnnen auf mancherley Art, und
aus verſchiedenen Urſachen ihre Kraft verliehren. Hier-
von muß nun noch kuͤrzlich gehandelt werden.

I) Kann der Geſetzgeber ſelbſt entweder ausdruͤcklich
oder ſtillſchweigend erklaͤren, daß das Geſetz nicht mehr
gelten ſolle. Denn von ſeinem Willen haͤngt die Guͤltig-
keit deſſelben ab; und wenn auch dem Geſetz die Clauſel:
daß es auf immer gelten, und nie wieder ge-
aͤndert oder gar aufgehoben werden ſolle
,
waͤre angehaͤnget worden 12); ſo kann doch dadurch die
Macht des Geſetzgebers im mindeſten nicht eingeſchraͤnkt
werden, inſofern er nicht etwa vermittelſt eines Vertra-
ges ſolches verſprochen haͤtte 13). Der Geſetzgeber hebt
nun entweder das ganze Geſetz ſchlechthin auf, dies heißt
in der Sprache der Geſetze, lex abrogatur; oder er ver-
ordnet etwas anders, ſo einem vorhergehenden Geſetz ge-
rade entgegen iſt, — legi obrogatur; oder es wird ein
vorhergehendes Geſetz durch ein nachher erfolgtes neues
Geſetz nur in einem gewiſſen Puncte abgeaͤndert, —
legi derogatur ſeu exrogatur; oder es wird einem Geſetze
noch etwas neues hinzugefuͤgt, und ſolches mit einem
neuen Anhange vermehrt, — legi ſubrogatur 14). Wenn

nun
12) Wir finden auch in verſchiedenen roͤmiſchen Geſetzen der-
gleichen clauſulam derogatoriam. Z. B. L. 6. C. de ſec. nupt.
Hac edictali Lege in perpetuum valitura ſan-
cimus
etc.
Unter den teutſchen Reichsgeſetzen giebt uns die
guͤldene Bulle ein Beiſpiel.
13) S. Io. Nic. hertii Diſſ. de lege, clauſula, ut ne abrogari
unquam poſſit, munita. in Opuſc. Vol. I. Tom.
3. S. 1—23.
und gerstlacher Corp. iur. germ. T. I. S. 58.
14) ulpianus Fragm. Tit. I. §. 3. beym schulting in Iu-
rispr. Antejuſt.
S. 563. L. 102. D. de V. S.
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[499/0519] de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. §. 93. Von der Veraͤnderung poſitiver Geſetze. Poſitive Geſetze koͤnnen auf mancherley Art, und aus verſchiedenen Urſachen ihre Kraft verliehren. Hier- von muß nun noch kuͤrzlich gehandelt werden. I) Kann der Geſetzgeber ſelbſt entweder ausdruͤcklich oder ſtillſchweigend erklaͤren, daß das Geſetz nicht mehr gelten ſolle. Denn von ſeinem Willen haͤngt die Guͤltig- keit deſſelben ab; und wenn auch dem Geſetz die Clauſel: daß es auf immer gelten, und nie wieder ge- aͤndert oder gar aufgehoben werden ſolle, waͤre angehaͤnget worden 12); ſo kann doch dadurch die Macht des Geſetzgebers im mindeſten nicht eingeſchraͤnkt werden, inſofern er nicht etwa vermittelſt eines Vertra- ges ſolches verſprochen haͤtte 13). Der Geſetzgeber hebt nun entweder das ganze Geſetz ſchlechthin auf, dies heißt in der Sprache der Geſetze, lex abrogatur; oder er ver- ordnet etwas anders, ſo einem vorhergehenden Geſetz ge- rade entgegen iſt, — legi obrogatur; oder es wird ein vorhergehendes Geſetz durch ein nachher erfolgtes neues Geſetz nur in einem gewiſſen Puncte abgeaͤndert, — legi derogatur ſeu exrogatur; oder es wird einem Geſetze noch etwas neues hinzugefuͤgt, und ſolches mit einem neuen Anhange vermehrt, — legi ſubrogatur 14). Wenn nun 12) Wir finden auch in verſchiedenen roͤmiſchen Geſetzen der- gleichen clauſulam derogatoriam. Z. B. L. 6. C. de ſec. nupt. Hac edictali Lege in perpetuum valitura ſan- cimus etc. Unter den teutſchen Reichsgeſetzen giebt uns die guͤldene Bulle ein Beiſpiel. 13) S. Io. Nic. hertii Diſſ. de lege, clauſula, ut ne abrogari unquam poſſit, munita. in Opuſc. Vol. I. Tom. 3. S. 1—23. und gerstlacher Corp. iur. germ. T. I. S. 58. 14) ulpianus Fragm. Tit. I. §. 3. beym schulting in Iu- rispr. Antejuſt. S. 563. L. 102. D. de V. S. J i 3

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/519>, abgerufen am 28.03.2024.