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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 1. Tit.
hat 94). Ich will hiermit keinesweges jene Cujaciani-
sche Methode, die sogenannten Leges Pandectarum ope
Inscriptionum
zu erklären, verwerfen, nein, ich pflege
sie selbst bey jeder Gelegenheit zu empfehlen, sondern
habe nur durch dieses Beyspiel beweisen wollen, daß sie
mit Behutsamkeit zu gebrauchen sey.

Wenn ich vorher behauptete, daß mich der blose
Vorsatz, ein Verbrechen zu begehen, in sofern nehmlich
derselbe noch durch keine äußerliche Handlungen zu erken-
nen gegeben worden, in foro humano noch nicht straf-
fällig mache, so muß ich, um nicht mißverstanden zu wer-
den, nur noch einen Gedanken hinzufügen. Es ist eine
ganz andere Frage, ob nicht unterweilen die blose Ab-
sicht, eine strafwürdige Handlung zu begehen, gesetzt auch,
daß man aus Irrthum eine wirklich erlaubte Handlung
vorgenommen, gestrafet werden könne? Man stelle sich
den Fall vor, den Johann Owen 95) in folgenden
Versen sehr naiv erzählt:

Cum propria imprudens coniux uxore coivit,
Quam falso alterius credidit esse viri.

oder man setze, es habe sich einer vorgenommen einen
Diebstahl zu begehen, im Grunde aber eine Sache ent-
wendet, die ihm selbst zugehörte, und auf welcher kei-
nem andern ein Recht zustand? Kann wohl ersterer
als ein Ehebrecher, und letzterer als ein Dieb gestrafet
werden? Rein, dies ist ganz ohne Zweifel. Schon
Aristoteles 96) sahe dieses ein, wenn er an den Ni-
comachus
schrieb: Moikheuei oudeis ten eautou, oude kle-

ptei
94) Siehe voorda in Electis Cap. XXII. und I. L. E.
püttmanni Interpretat. et Observat. iuris. cap.
XIX. pag.
89.
95) Epigram. I. 80.
96) Lib. V. ad Nicomachum cap. ult.

1. Buch. 1. Tit.
hat 94). Ich will hiermit keinesweges jene Cujaciani-
ſche Methode, die ſogenannten Leges Pandectarum ope
Inſcriptionum
zu erklaͤren, verwerfen, nein, ich pflege
ſie ſelbſt bey jeder Gelegenheit zu empfehlen, ſondern
habe nur durch dieſes Beyſpiel beweiſen wollen, daß ſie
mit Behutſamkeit zu gebrauchen ſey.

Wenn ich vorher behauptete, daß mich der bloſe
Vorſatz, ein Verbrechen zu begehen, in ſofern nehmlich
derſelbe noch durch keine aͤußerliche Handlungen zu erken-
nen gegeben worden, in foro humano noch nicht ſtraf-
faͤllig mache, ſo muß ich, um nicht mißverſtanden zu wer-
den, nur noch einen Gedanken hinzufuͤgen. Es iſt eine
ganz andere Frage, ob nicht unterweilen die bloſe Ab-
ſicht, eine ſtrafwuͤrdige Handlung zu begehen, geſetzt auch,
daß man aus Irrthum eine wirklich erlaubte Handlung
vorgenommen, geſtrafet werden koͤnne? Man ſtelle ſich
den Fall vor, den Johann Owen 95) in folgenden
Verſen ſehr naiv erzaͤhlt:

Cum propria imprudens coniux uxore coivit,
Quam falſo alterius credidit eſſe viri.

oder man ſetze, es habe ſich einer vorgenommen einen
Diebſtahl zu begehen, im Grunde aber eine Sache ent-
wendet, die ihm ſelbſt zugehoͤrte, und auf welcher kei-
nem andern ein Recht zuſtand? Kann wohl erſterer
als ein Ehebrecher, und letzterer als ein Dieb geſtrafet
werden? Rein, dies iſt ganz ohne Zweifel. Schon
Ariſtoteles 96) ſahe dieſes ein, wenn er an den Ni-
comachus
ſchrieb: Μοιχέυει ὀυδεὶς τὴν ἑαυτȣ͂, ὀυδὲ κλέ-

πτει
94) Siehe voorda in Electis Cap. XXII. und I. L. E.
puͤttmanni Interpretat. et Obſervat. iuris. cap.
XIX. pag.
89.
95) Epigram. I. 80.
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[66/0086] 1. Buch. 1. Tit. hat 94). Ich will hiermit keinesweges jene Cujaciani- ſche Methode, die ſogenannten Leges Pandectarum ope Inſcriptionum zu erklaͤren, verwerfen, nein, ich pflege ſie ſelbſt bey jeder Gelegenheit zu empfehlen, ſondern habe nur durch dieſes Beyſpiel beweiſen wollen, daß ſie mit Behutſamkeit zu gebrauchen ſey. Wenn ich vorher behauptete, daß mich der bloſe Vorſatz, ein Verbrechen zu begehen, in ſofern nehmlich derſelbe noch durch keine aͤußerliche Handlungen zu erken- nen gegeben worden, in foro humano noch nicht ſtraf- faͤllig mache, ſo muß ich, um nicht mißverſtanden zu wer- den, nur noch einen Gedanken hinzufuͤgen. Es iſt eine ganz andere Frage, ob nicht unterweilen die bloſe Ab- ſicht, eine ſtrafwuͤrdige Handlung zu begehen, geſetzt auch, daß man aus Irrthum eine wirklich erlaubte Handlung vorgenommen, geſtrafet werden koͤnne? Man ſtelle ſich den Fall vor, den Johann Owen 95) in folgenden Verſen ſehr naiv erzaͤhlt: Cum propria imprudens coniux uxore coivit, Quam falſo alterius credidit eſſe viri. oder man ſetze, es habe ſich einer vorgenommen einen Diebſtahl zu begehen, im Grunde aber eine Sache ent- wendet, die ihm ſelbſt zugehoͤrte, und auf welcher kei- nem andern ein Recht zuſtand? Kann wohl erſterer als ein Ehebrecher, und letzterer als ein Dieb geſtrafet werden? Rein, dies iſt ganz ohne Zweifel. Schon Ariſtoteles 96) ſahe dieſes ein, wenn er an den Ni- comachus ſchrieb: Μοιχέυει ὀυδεὶς τὴν ἑαυτȣ͂, ὀυδὲ κλέ- πτει 94) Siehe voorda in Electis Cap. XXII. und I. L. E. puͤttmanni Interpretat. et Obſervat. iuris. cap. XIX. pag. 89. 95) Epigram. I. 80. 96) Lib. V. ad Nicomachum cap. ult.

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/86>, abgerufen am 19.04.2024.