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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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de Iustitia et Iure.
es nicht. Denn wenn Paulus da, wo die eigentliche
Klage aus dem Aquilischen Gesez wegfällt, dem Beschä-
digten die Befugnis beilegt, in factum zu klagen: so
kann unmöglich seine Meinung dahin gehen, daß die
letztere Klage ohne Unterschied, ob der Schade vorsetz-
lich, oder aus Fahrläßigkeit, oder durch ein Ungefehr
angerichtet worden, immer durchgängig statt finde. Es
erhellet vielmehr aus andern Gesezstellen 7), daß die
actio in factum, welche in denen Fällen Statt haben
soll, wo die Klage aus dem Aquilischen Gesez cessirt,
nur gegen den, qui obnoxius fuerit, also wer Schuld
hat, daß der Schade geschehen, solle angestellet werden
können. Wie mag man aber dieses in dem Fall zutref-
fend glauben, wo alle Imputation gänzlich wegfällt,
und nichts als ein damnum casuale vorhanden ist, und
wo daher selbst nach den Gesetzen der Vernunft, ohne
deren Beystand die actio in factum gänzlich wegfällt, kei-
ne Verbindlichkeit zur Vergütung des Schadens vorhan-
den ist 8). Es kann aber auch eben so wenig der von
Marcian aus dem Demosthenes entlehnte Begrif des
Gesetzes so verstanden werden, als ob unfreye Hand-
lungen nach den Gesetzen beurtheilt, und als Verbrechen
bestraft werden könnten. Denn involuntarie delinquere,
heißt daselbst nicht, ohne Freyheit des Willens handeln, son-
dern ohne bösen Vorsatz, bloß aus Unachtsamkeit
und Unwissenheit sich vergehen, wie schon Gerhard
Noodt 9), bemerkt hat. Der Ausdruck involuntarie be-
greift auch die aus Uebereilung und in der Hitze der Lei-
denschaft begangene straffällige Handlungen unter sich.
Cadunt enim in ignorantiam atque in imprudentiam

per-
7) S. §. ult. 1. de L. Aquil.
8) S. Weber am angef. Ort. not. 274.
9) in Commentar. in Dig. tit. de Legib. Tom. II.
Oper. pag.
12.
E 5

de Iuſtitia et Iure.
es nicht. Denn wenn Paulus da, wo die eigentliche
Klage aus dem Aquiliſchen Geſez wegfaͤllt, dem Beſchaͤ-
digten die Befugnis beilegt, in factum zu klagen: ſo
kann unmoͤglich ſeine Meinung dahin gehen, daß die
letztere Klage ohne Unterſchied, ob der Schade vorſetz-
lich, oder aus Fahrlaͤßigkeit, oder durch ein Ungefehr
angerichtet worden, immer durchgaͤngig ſtatt finde. Es
erhellet vielmehr aus andern Geſezſtellen 7), daß die
actio in factum, welche in denen Faͤllen Statt haben
ſoll, wo die Klage aus dem Aquiliſchen Geſez ceſſirt,
nur gegen den, qui obnoxius fuerit, alſo wer Schuld
hat, daß der Schade geſchehen, ſolle angeſtellet werden
koͤnnen. Wie mag man aber dieſes in dem Fall zutref-
fend glauben, wo alle Imputation gaͤnzlich wegfaͤllt,
und nichts als ein damnum caſuale vorhanden iſt, und
wo daher ſelbſt nach den Geſetzen der Vernunft, ohne
deren Beyſtand die actio in factum gaͤnzlich wegfaͤllt, kei-
ne Verbindlichkeit zur Verguͤtung des Schadens vorhan-
den iſt 8). Es kann aber auch eben ſo wenig der von
Marcian aus dem Demoſthenes entlehnte Begrif des
Geſetzes ſo verſtanden werden, als ob unfreye Hand-
lungen nach den Geſetzen beurtheilt, und als Verbrechen
beſtraft werden koͤnnten. Denn involuntarie delinquere,
heißt daſelbſt nicht, ohne Freyheit des Willens handeln, ſon-
dern ohne boͤſen Vorſatz, bloß aus Unachtſamkeit
und Unwiſſenheit ſich vergehen, wie ſchon Gerhard
Noodt 9), bemerkt hat. Der Ausdruck involuntarie be-
greift auch die aus Uebereilung und in der Hitze der Lei-
denſchaft begangene ſtraffaͤllige Handlungen unter ſich.
Cadunt enim in ignorantiam atque in imprudentiam

per-
7) S. §. ult. 1. de L. Aquil.
8) S. Weber am angef. Ort. not. 274.
9) in Commentar. in Dig. tit. de Legib. Tom. II.
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12.
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[73/0093] de Iuſtitia et Iure. es nicht. Denn wenn Paulus da, wo die eigentliche Klage aus dem Aquiliſchen Geſez wegfaͤllt, dem Beſchaͤ- digten die Befugnis beilegt, in factum zu klagen: ſo kann unmoͤglich ſeine Meinung dahin gehen, daß die letztere Klage ohne Unterſchied, ob der Schade vorſetz- lich, oder aus Fahrlaͤßigkeit, oder durch ein Ungefehr angerichtet worden, immer durchgaͤngig ſtatt finde. Es erhellet vielmehr aus andern Geſezſtellen 7), daß die actio in factum, welche in denen Faͤllen Statt haben ſoll, wo die Klage aus dem Aquiliſchen Geſez ceſſirt, nur gegen den, qui obnoxius fuerit, alſo wer Schuld hat, daß der Schade geſchehen, ſolle angeſtellet werden koͤnnen. Wie mag man aber dieſes in dem Fall zutref- fend glauben, wo alle Imputation gaͤnzlich wegfaͤllt, und nichts als ein damnum caſuale vorhanden iſt, und wo daher ſelbſt nach den Geſetzen der Vernunft, ohne deren Beyſtand die actio in factum gaͤnzlich wegfaͤllt, kei- ne Verbindlichkeit zur Verguͤtung des Schadens vorhan- den iſt 8). Es kann aber auch eben ſo wenig der von Marcian aus dem Demoſthenes entlehnte Begrif des Geſetzes ſo verſtanden werden, als ob unfreye Hand- lungen nach den Geſetzen beurtheilt, und als Verbrechen beſtraft werden koͤnnten. Denn involuntarie delinquere, heißt daſelbſt nicht, ohne Freyheit des Willens handeln, ſon- dern ohne boͤſen Vorſatz, bloß aus Unachtſamkeit und Unwiſſenheit ſich vergehen, wie ſchon Gerhard Noodt 9), bemerkt hat. Der Ausdruck involuntarie be- greift auch die aus Uebereilung und in der Hitze der Lei- denſchaft begangene ſtraffaͤllige Handlungen unter ſich. Cadunt enim in ignorantiam atque in imprudentiam per- 7) S. §. ult. 1. de L. Aquil. 8) S. Weber am angef. Ort. not. 274. 9) in Commentar. in Dig. tit. de Legib. Tom. II. Oper. pag. 12. E 5

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/93>, abgerufen am 24.04.2024.