Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

er durchaus heirathen müsse, und hatte ihm endlich die Claudine angetragen.

Francois, den der Henriot wegen der Angelegenheit um Rath gefragt, hatte weder Ja noch Nein sagen wollen und nur versichert, Claudine wäre das bravste, fleißigste, klügste Mädchen weit und breit, und als dann auf dem Markt von Nay der Bardet noch einmal angefragt, hatte der Henriot -- er wußte selbst nicht wie -- sein Jawort gegeben.

Was er damit auf sich genommen, wußte er freilich seit heute erst. Dem Anschein nach gefiel ihm die Claudine zwar recht gut, und da sie der Francois lobte, mußte wohl was an ihr sein. Auch daß sie wenig sprach, war dem Henriot angenehm, denn zungenfertige Frauen, wie Madame Bardet, machten ihn völlig confus; aber das rechte Zutrauen hatte er doch nicht zu dem Mädchen. So oft er etwas gesagt hatte, sah er sie verstohlen an, ob sie ihn nicht auslache, und wenn er sie dann ernsthaft fand, war er überzeugt, daß er sie langweile. Dabei wollte heute die Sonne nicht von der Stelle rücken, und vor ihrem Untergang aufzubrechen hätte sich doch nicht geschickt.

Aber das Maß seiner Leiden war noch nicht voll. Aus dem Tosen der Menschenmenge klang es plötzlich wie von Brummbaß und von Geigen, und Pierre Bardet, der das Brautpaar eine Weile aus den Augen verloren hatte, drängte sich heran und schlug den Henriot auf die Schulter.

er durchaus heirathen müsse, und hatte ihm endlich die Claudine angetragen.

François, den der Henriot wegen der Angelegenheit um Rath gefragt, hatte weder Ja noch Nein sagen wollen und nur versichert, Claudine wäre das bravste, fleißigste, klügste Mädchen weit und breit, und als dann auf dem Markt von Nay der Bardet noch einmal angefragt, hatte der Henriot — er wußte selbst nicht wie — sein Jawort gegeben.

Was er damit auf sich genommen, wußte er freilich seit heute erst. Dem Anschein nach gefiel ihm die Claudine zwar recht gut, und da sie der François lobte, mußte wohl was an ihr sein. Auch daß sie wenig sprach, war dem Henriot angenehm, denn zungenfertige Frauen, wie Madame Bardet, machten ihn völlig confus; aber das rechte Zutrauen hatte er doch nicht zu dem Mädchen. So oft er etwas gesagt hatte, sah er sie verstohlen an, ob sie ihn nicht auslache, und wenn er sie dann ernsthaft fand, war er überzeugt, daß er sie langweile. Dabei wollte heute die Sonne nicht von der Stelle rücken, und vor ihrem Untergang aufzubrechen hätte sich doch nicht geschickt.

Aber das Maß seiner Leiden war noch nicht voll. Aus dem Tosen der Menschenmenge klang es plötzlich wie von Brummbaß und von Geigen, und Pierre Bardet, der das Brautpaar eine Weile aus den Augen verloren hatte, drängte sich heran und schlug den Henriot auf die Schulter.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="4">
        <p><pb facs="#f0039"/>
er durchaus heirathen müsse, und hatte ihm endlich                die Claudine angetragen.</p><lb/>
        <p>François, den der Henriot wegen der Angelegenheit um Rath gefragt, hatte weder Ja                noch Nein sagen wollen und nur versichert, Claudine wäre das bravste, fleißigste,                klügste Mädchen weit und breit, und als dann auf dem Markt von Nay der Bardet noch                einmal angefragt, hatte der Henriot &#x2014; er wußte selbst nicht wie &#x2014; sein Jawort                gegeben.</p><lb/>
        <p>Was er damit auf sich genommen, wußte er freilich seit heute erst. Dem Anschein nach                gefiel ihm die Claudine zwar recht gut, und da sie der François lobte, mußte wohl was                an ihr sein. Auch daß sie wenig sprach, war dem Henriot angenehm, denn zungenfertige                Frauen, wie Madame Bardet, machten ihn völlig confus; aber das rechte Zutrauen hatte                er doch nicht zu dem Mädchen. So oft er etwas gesagt hatte, sah er sie verstohlen an,                ob sie ihn nicht auslache, und wenn er sie dann ernsthaft fand, war er überzeugt, daß                er sie langweile. Dabei wollte heute die Sonne nicht von der Stelle rücken, und vor                ihrem Untergang aufzubrechen hätte sich doch nicht geschickt.</p><lb/>
        <p>Aber das Maß seiner Leiden war noch nicht voll. Aus dem Tosen der Menschenmenge klang                es plötzlich wie von Brummbaß und von Geigen, und Pierre Bardet, der das Brautpaar                eine Weile aus den Augen verloren hatte, drängte sich heran und schlug den Henriot                auf die Schulter.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0039] er durchaus heirathen müsse, und hatte ihm endlich die Claudine angetragen. François, den der Henriot wegen der Angelegenheit um Rath gefragt, hatte weder Ja noch Nein sagen wollen und nur versichert, Claudine wäre das bravste, fleißigste, klügste Mädchen weit und breit, und als dann auf dem Markt von Nay der Bardet noch einmal angefragt, hatte der Henriot — er wußte selbst nicht wie — sein Jawort gegeben. Was er damit auf sich genommen, wußte er freilich seit heute erst. Dem Anschein nach gefiel ihm die Claudine zwar recht gut, und da sie der François lobte, mußte wohl was an ihr sein. Auch daß sie wenig sprach, war dem Henriot angenehm, denn zungenfertige Frauen, wie Madame Bardet, machten ihn völlig confus; aber das rechte Zutrauen hatte er doch nicht zu dem Mädchen. So oft er etwas gesagt hatte, sah er sie verstohlen an, ob sie ihn nicht auslache, und wenn er sie dann ernsthaft fand, war er überzeugt, daß er sie langweile. Dabei wollte heute die Sonne nicht von der Stelle rücken, und vor ihrem Untergang aufzubrechen hätte sich doch nicht geschickt. Aber das Maß seiner Leiden war noch nicht voll. Aus dem Tosen der Menschenmenge klang es plötzlich wie von Brummbaß und von Geigen, und Pierre Bardet, der das Brautpaar eine Weile aus den Augen verloren hatte, drängte sich heran und schlug den Henriot auf die Schulter.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:29:37Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:29:37Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910/39
Zitationshilfe: Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910/39>, abgerufen am 16.04.2024.