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Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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verhinderte, noch ihr zerrissenes Kleid wieder herstellte -- hätte sie ihre gepriesene Klugheit dadurch beweisen sollen, daß sie den Henriot festgehalten und ihm über seine Verlegenheit fortzuhelfen gesucht.

Du hast zum Voraus gewußt, daß er nicht der Klügste ist, schloß der Weinbauer seine Rede. Dafür ist er aber so reich, daß er überall, wo er anklopft, die freundlichste Aufnahme findet, und thust du albern, so erlebe ich's noch, daß er dich sitzen läßt. Wenn das aber geschieht, so magst du sehen, wie du zu einem Mann kommst . . . ich rühre nicht mehr weder Hand noch Fuß für dich. Das laß dir gesagt sein!

Schweigend, mit niedergeschlagenen Augen und ruhiger Miene hatte Claudine die Vorwürfe des Oheims angehört, aber bei den Worten: ich erlebe noch, daß er dich sitzen läßt -- eine Warnung oder Prophezeiung, die sie nun schon zum zweiten Male hörte -- hätte sie aufjauchzen mögen. Das war's, was ihr helfen konnte! Seit sie Francois' Lippen auf ihren Lippen gefühlt hatte, wußte sie, daß sie den Henriot nicht heirathen konnte, ihn nicht und keinen Andern! Ihr Stolz war auch jetzt nicht besiegt, ihre Liebe nicht kühn genug, um dem Zorn der Ihrigen und dem Tadel des Kreises, der ihre Welt war, zu trotzen. -- Aber indem sie dem Geliebten entsagte, hatte sie, wie ihr jetzt zum Bewußtsein kam, das höchste, letzte Opfer gebracht. Weiter gehen konnte sie nicht mehr.

Diesen Entschluß offen zu bekennen, fiel ihr jedoch

verhinderte, noch ihr zerrissenes Kleid wieder herstellte — hätte sie ihre gepriesene Klugheit dadurch beweisen sollen, daß sie den Henriot festgehalten und ihm über seine Verlegenheit fortzuhelfen gesucht.

Du hast zum Voraus gewußt, daß er nicht der Klügste ist, schloß der Weinbauer seine Rede. Dafür ist er aber so reich, daß er überall, wo er anklopft, die freundlichste Aufnahme findet, und thust du albern, so erlebe ich's noch, daß er dich sitzen läßt. Wenn das aber geschieht, so magst du sehen, wie du zu einem Mann kommst . . . ich rühre nicht mehr weder Hand noch Fuß für dich. Das laß dir gesagt sein!

Schweigend, mit niedergeschlagenen Augen und ruhiger Miene hatte Claudine die Vorwürfe des Oheims angehört, aber bei den Worten: ich erlebe noch, daß er dich sitzen läßt — eine Warnung oder Prophezeiung, die sie nun schon zum zweiten Male hörte — hätte sie aufjauchzen mögen. Das war's, was ihr helfen konnte! Seit sie François' Lippen auf ihren Lippen gefühlt hatte, wußte sie, daß sie den Henriot nicht heirathen konnte, ihn nicht und keinen Andern! Ihr Stolz war auch jetzt nicht besiegt, ihre Liebe nicht kühn genug, um dem Zorn der Ihrigen und dem Tadel des Kreises, der ihre Welt war, zu trotzen. — Aber indem sie dem Geliebten entsagte, hatte sie, wie ihr jetzt zum Bewußtsein kam, das höchste, letzte Opfer gebracht. Weiter gehen konnte sie nicht mehr.

Diesen Entschluß offen zu bekennen, fiel ihr jedoch

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[0048] verhinderte, noch ihr zerrissenes Kleid wieder herstellte — hätte sie ihre gepriesene Klugheit dadurch beweisen sollen, daß sie den Henriot festgehalten und ihm über seine Verlegenheit fortzuhelfen gesucht. Du hast zum Voraus gewußt, daß er nicht der Klügste ist, schloß der Weinbauer seine Rede. Dafür ist er aber so reich, daß er überall, wo er anklopft, die freundlichste Aufnahme findet, und thust du albern, so erlebe ich's noch, daß er dich sitzen läßt. Wenn das aber geschieht, so magst du sehen, wie du zu einem Mann kommst . . . ich rühre nicht mehr weder Hand noch Fuß für dich. Das laß dir gesagt sein! Schweigend, mit niedergeschlagenen Augen und ruhiger Miene hatte Claudine die Vorwürfe des Oheims angehört, aber bei den Worten: ich erlebe noch, daß er dich sitzen läßt — eine Warnung oder Prophezeiung, die sie nun schon zum zweiten Male hörte — hätte sie aufjauchzen mögen. Das war's, was ihr helfen konnte! Seit sie François' Lippen auf ihren Lippen gefühlt hatte, wußte sie, daß sie den Henriot nicht heirathen konnte, ihn nicht und keinen Andern! Ihr Stolz war auch jetzt nicht besiegt, ihre Liebe nicht kühn genug, um dem Zorn der Ihrigen und dem Tadel des Kreises, der ihre Welt war, zu trotzen. — Aber indem sie dem Geliebten entsagte, hatte sie, wie ihr jetzt zum Bewußtsein kam, das höchste, letzte Opfer gebracht. Weiter gehen konnte sie nicht mehr. Diesen Entschluß offen zu bekennen, fiel ihr jedoch

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:29:37Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910/48>, abgerufen am 29.03.2024.