Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

zum Frühstück und summte sein Lieblingslied, vom Gevattersmann Larbi, der allen Gästen guten Wein vorsetzt und

"Uo bero trancho de jambou
Per goustairo sio hero bou."
("Und zum Kosten, wie's Gebrauch
Ein Stück guten Schinken auch.")

da klang ein schüchternes "Adichat" von der Thür her; er wendete sich um und brach in einen Ausruf des Erstaunens aus, als er Claudine Vidal erblickte.

Ei, ei, was werden die Nachbarn denken, wenn um diese Stunde schöne junge Mädchen bei mir aus- und eingehen! sagte er in seiner neckischen Weise; aber als Claudine das Capuchon zurückschlug und er ihr blasses, ernstes Gesicht sah, fuhr er in völlig verändertem Ton fort:

Komm, setz dich ans Feuer und sag mir, was dich herführt . . . du siehst aus, als ob du was auf dem Herzen hättest?

Das hab' ich, Cadet Caduchon, antwortete Claudine, und ich komme, um zu fragen, ob Ihr mir helfen wollt?

Frag, ob ich kann, fiel der Alte ein. Daß ich will, wenn sich's um dich handelt, versteht sich von selbst. Ich hab's nicht vergessen, Claudine, welch alte Freunde wir sind . . . kaum zwei Jahre alt warst du, als ich dich zuerst bei der Schwester sah, ein wildes, lustiges Kind . . . hast mir oft genug mit den klei-

zum Frühstück und summte sein Lieblingslied, vom Gevattersmann Larbi, der allen Gästen guten Wein vorsetzt und

„Uo bèro trancho de jambou
Per goustairo sio hèro bou.“
(„Und zum Kosten, wie's Gebrauch
Ein Stück guten Schinken auch.“)

da klang ein schüchternes „Adichat“ von der Thür her; er wendete sich um und brach in einen Ausruf des Erstaunens aus, als er Claudine Vidal erblickte.

Ei, ei, was werden die Nachbarn denken, wenn um diese Stunde schöne junge Mädchen bei mir aus- und eingehen! sagte er in seiner neckischen Weise; aber als Claudine das Capuchon zurückschlug und er ihr blasses, ernstes Gesicht sah, fuhr er in völlig verändertem Ton fort:

Komm, setz dich ans Feuer und sag mir, was dich herführt . . . du siehst aus, als ob du was auf dem Herzen hättest?

Das hab' ich, Cadet Caduchon, antwortete Claudine, und ich komme, um zu fragen, ob Ihr mir helfen wollt?

Frag, ob ich kann, fiel der Alte ein. Daß ich will, wenn sich's um dich handelt, versteht sich von selbst. Ich hab's nicht vergessen, Claudine, welch alte Freunde wir sind . . . kaum zwei Jahre alt warst du, als ich dich zuerst bei der Schwester sah, ein wildes, lustiges Kind . . . hast mir oft genug mit den klei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="5">
        <p><pb facs="#f0050"/>
zum Frühstück und summte sein Lieblingslied, vom Gevattersmann Larbi,                der allen Gästen guten Wein vorsetzt und</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Uo bèro trancho de jambou</l><lb/>
          <l>Per goustairo sio hèro bou.&#x201C;</l><lb/>
          <l>(&#x201E;Und zum Kosten, wie's Gebrauch</l><lb/>
          <l>Ein Stück guten Schinken auch.&#x201C;)</l><lb/>
        </lg>
        <p>da klang ein schüchternes &#x201E;Adichat&#x201C; von der Thür her; er wendete sich um und brach in                einen Ausruf des Erstaunens aus, als er Claudine Vidal erblickte.</p><lb/>
        <p>Ei, ei, was werden die Nachbarn denken, wenn um diese Stunde schöne junge Mädchen bei                mir aus- und eingehen! sagte er in seiner neckischen Weise; aber als Claudine das                Capuchon zurückschlug und er ihr blasses, ernstes Gesicht sah, fuhr er in völlig                verändertem Ton fort:</p><lb/>
        <p>Komm, setz dich ans Feuer und sag mir, was dich herführt . . . du siehst aus, als ob                du was auf dem Herzen hättest?</p><lb/>
        <p>Das hab' ich, Cadet Caduchon, antwortete Claudine, und ich komme, um zu fragen, ob                Ihr mir helfen wollt?</p><lb/>
        <p>Frag, ob ich kann, fiel der Alte ein. Daß ich will, wenn sich's um dich handelt,                versteht sich von selbst. Ich hab's nicht vergessen, Claudine, welch alte Freunde wir                sind . . . kaum zwei Jahre alt warst du, als ich dich zuerst bei der Schwester sah,                ein wildes, lustiges Kind . . . hast mir oft genug mit den klei-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0050] zum Frühstück und summte sein Lieblingslied, vom Gevattersmann Larbi, der allen Gästen guten Wein vorsetzt und „Uo bèro trancho de jambou Per goustairo sio hèro bou.“ („Und zum Kosten, wie's Gebrauch Ein Stück guten Schinken auch.“) da klang ein schüchternes „Adichat“ von der Thür her; er wendete sich um und brach in einen Ausruf des Erstaunens aus, als er Claudine Vidal erblickte. Ei, ei, was werden die Nachbarn denken, wenn um diese Stunde schöne junge Mädchen bei mir aus- und eingehen! sagte er in seiner neckischen Weise; aber als Claudine das Capuchon zurückschlug und er ihr blasses, ernstes Gesicht sah, fuhr er in völlig verändertem Ton fort: Komm, setz dich ans Feuer und sag mir, was dich herführt . . . du siehst aus, als ob du was auf dem Herzen hättest? Das hab' ich, Cadet Caduchon, antwortete Claudine, und ich komme, um zu fragen, ob Ihr mir helfen wollt? Frag, ob ich kann, fiel der Alte ein. Daß ich will, wenn sich's um dich handelt, versteht sich von selbst. Ich hab's nicht vergessen, Claudine, welch alte Freunde wir sind . . . kaum zwei Jahre alt warst du, als ich dich zuerst bei der Schwester sah, ein wildes, lustiges Kind . . . hast mir oft genug mit den klei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:29:37Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:29:37Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910/50
Zitationshilfe: Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910/50>, abgerufen am 05.10.2024.