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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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ist der übrige Theil des Auges schon disponiert, auf
gedachter farbloser Fläche das Violette hervorzubringen.
Allein das wenige Gelbe ist nicht mächtig genug jene
Wirkung deutlich zu leisten. Bringt man aber auf ei-
ne gelbe Wand weiße Papiere, so wird man sie mit
einem violetten Ton überzogen sehen.

57.

Ob man gleich mit allen Farben diese Versuche
anstellen kann, so sind doch besonders dazu Grün und
Purpur zu empfehlen, weil diese Farben einander auf-
fallend hervorrufen. Auch im Leben begegnen uns die-
se Fälle häufig. Blickt ein grünes Papier durch ge-
streiften oder geblümten Musselin hindurch, so werden
die Streifen oder Blumen röthlich erscheinen. Durch
grüne Schaltern ein graues Haus gesehen, erscheint
gleichfalls röthlich. Die Purpurfarbe an dem beweg-
ten Meer ist auch eine geforderte Farbe. Der beleuch-
tete Theil der Wellen erscheint grün in seiner eigenen
Farbe, und der beschattete in der entgegengesetzten pur-
purnen. Die verschiedene Richtung der Wellen gegen
das Auge bringt eben die Wirkung hervor. Durch ei-
ne Oeffnung rother oder grüner Vorhänge erscheinen
die Gegenstände draußen mit der geforderten Farbe.
Uebrigens werden sich diese Erscheinungen dem Auf-
merksamen überall, ja bis zur Unbequemlichkeit zeigen.

58.

Haben wir das Simultane dieser Wirkungen bisher
in den directen Fällen kennen gelernt; so können wir

iſt der uͤbrige Theil des Auges ſchon disponiert, auf
gedachter farbloſer Flaͤche das Violette hervorzubringen.
Allein das wenige Gelbe iſt nicht maͤchtig genug jene
Wirkung deutlich zu leiſten. Bringt man aber auf ei-
ne gelbe Wand weiße Papiere, ſo wird man ſie mit
einem violetten Ton uͤberzogen ſehen.

57.

Ob man gleich mit allen Farben dieſe Verſuche
anſtellen kann, ſo ſind doch beſonders dazu Gruͤn und
Purpur zu empfehlen, weil dieſe Farben einander auf-
fallend hervorrufen. Auch im Leben begegnen uns die-
ſe Faͤlle haͤufig. Blickt ein gruͤnes Papier durch ge-
ſtreiften oder gebluͤmten Muſſelin hindurch, ſo werden
die Streifen oder Blumen roͤthlich erſcheinen. Durch
gruͤne Schaltern ein graues Haus geſehen, erſcheint
gleichfalls roͤthlich. Die Purpurfarbe an dem beweg-
ten Meer iſt auch eine geforderte Farbe. Der beleuch-
tete Theil der Wellen erſcheint gruͤn in ſeiner eigenen
Farbe, und der beſchattete in der entgegengeſetzten pur-
purnen. Die verſchiedene Richtung der Wellen gegen
das Auge bringt eben die Wirkung hervor. Durch ei-
ne Oeffnung rother oder gruͤner Vorhaͤnge erſcheinen
die Gegenſtaͤnde draußen mit der geforderten Farbe.
Uebrigens werden ſich dieſe Erſcheinungen dem Auf-
merkſamen uͤberall, ja bis zur Unbequemlichkeit zeigen.

58.

Haben wir das Simultane dieſer Wirkungen bisher
in den directen Faͤllen kennen gelernt; ſo koͤnnen wir

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[24/0078] iſt der uͤbrige Theil des Auges ſchon disponiert, auf gedachter farbloſer Flaͤche das Violette hervorzubringen. Allein das wenige Gelbe iſt nicht maͤchtig genug jene Wirkung deutlich zu leiſten. Bringt man aber auf ei- ne gelbe Wand weiße Papiere, ſo wird man ſie mit einem violetten Ton uͤberzogen ſehen. 57. Ob man gleich mit allen Farben dieſe Verſuche anſtellen kann, ſo ſind doch beſonders dazu Gruͤn und Purpur zu empfehlen, weil dieſe Farben einander auf- fallend hervorrufen. Auch im Leben begegnen uns die- ſe Faͤlle haͤufig. Blickt ein gruͤnes Papier durch ge- ſtreiften oder gebluͤmten Muſſelin hindurch, ſo werden die Streifen oder Blumen roͤthlich erſcheinen. Durch gruͤne Schaltern ein graues Haus geſehen, erſcheint gleichfalls roͤthlich. Die Purpurfarbe an dem beweg- ten Meer iſt auch eine geforderte Farbe. Der beleuch- tete Theil der Wellen erſcheint gruͤn in ſeiner eigenen Farbe, und der beſchattete in der entgegengeſetzten pur- purnen. Die verſchiedene Richtung der Wellen gegen das Auge bringt eben die Wirkung hervor. Durch ei- ne Oeffnung rother oder gruͤner Vorhaͤnge erſcheinen die Gegenſtaͤnde draußen mit der geforderten Farbe. Uebrigens werden ſich dieſe Erſcheinungen dem Auf- merkſamen uͤberall, ja bis zur Unbequemlichkeit zeigen. 58. Haben wir das Simultane dieſer Wirkungen bisher in den directen Faͤllen kennen gelernt; ſo koͤnnen wir

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/78>, abgerufen am 28.03.2024.