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Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808.

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Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe?
Wo es in herrlichen Accorden schlägt,
Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen?
Das Abendroth im ernsten Sinne glühn?
Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten
Auf der Geliebten Pfade hin?
Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?
Des Menschen Kraft im Dichter offenbart.
Lustige Person.
So braucht sie denn die schönen Kräfte
Und treibt die dicht'rischen Geschäfte,
Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
Und nach und nach wird man verflochten;
Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,
Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,
Und eh man sich's versieht ist's eben ein Roman.
Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!
Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt,
Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe?
Wo es in herrlichen Accorden ſchlaͤgt,
Wer laͤßt den Sturm zu Leidenſchaften wuͤthen?
Das Abendroth im ernſten Sinne gluͤhn?
Wer ſchuͤttet alle ſchoͤnen Fruͤhlingsbluͤten
Auf der Geliebten Pfade hin?
Wer flicht die unbedeutend gruͤnen Blaͤtter
Zum Ehrenkranz Verdienſten jeder Art?
Wer ſichert den Olymp? vereinet Goͤtter?
Des Menſchen Kraft im Dichter offenbart.
Luſtige Perſon.
So braucht ſie denn die ſchoͤnen Kraͤfte
Und treibt die dicht’riſchen Geſchaͤfte,
Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
Zufaͤllig naht man ſich, man fuͤhlt, man bleibt
Und nach und nach wird man verflochten;
Es waͤchſt das Gluͤck, dann wird es angefochten,
Man iſt entzuͤckt, nun kommt der Schmerz heran,
Und eh man ſich’s verſieht iſt’s eben ein Roman.
Laßt uns auch ſo ein Schauſpiel geben!
Greift nur hinein ins volle Menſchenleben!
Ein jeder lebt’s, nicht vielen iſt’s bekannt,
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[15/0021] Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe? Wo es in herrlichen Accorden ſchlaͤgt, Wer laͤßt den Sturm zu Leidenſchaften wuͤthen? Das Abendroth im ernſten Sinne gluͤhn? Wer ſchuͤttet alle ſchoͤnen Fruͤhlingsbluͤten Auf der Geliebten Pfade hin? Wer flicht die unbedeutend gruͤnen Blaͤtter Zum Ehrenkranz Verdienſten jeder Art? Wer ſichert den Olymp? vereinet Goͤtter? Des Menſchen Kraft im Dichter offenbart. Luſtige Perſon. So braucht ſie denn die ſchoͤnen Kraͤfte Und treibt die dicht’riſchen Geſchaͤfte, Wie man ein Liebesabenteuer treibt. Zufaͤllig naht man ſich, man fuͤhlt, man bleibt Und nach und nach wird man verflochten; Es waͤchſt das Gluͤck, dann wird es angefochten, Man iſt entzuͤckt, nun kommt der Schmerz heran, Und eh man ſich’s verſieht iſt’s eben ein Roman. Laßt uns auch ſo ein Schauſpiel geben! Greift nur hinein ins volle Menſchenleben! Ein jeder lebt’s, nicht vielen iſt’s bekannt,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust01_1808/21>, abgerufen am 19.04.2024.