Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808.
Mit Rad und Kämmen, Walz' und Bügel. Ich stand am Thor, ihr solltet Schlüssel seyn; Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel. Geheimnißvoll am lichten Tag Läßt sich Natur des Schleyers nicht berauben, Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag, Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben. Du alt Geräthe das ich nicht gebraucht, Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte. Du alte Rolle, du wirst angeraucht, So lang an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte. Weit besser hätt' ich doch mein weniges verpraßt, Als mit dem wenigen belastet hier zu schwitzen! Was du ererbt von deinen Vätern hast Erwirb es, um es zu besitzen. Was man nicht nützt ist eine schwere Last, Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen. Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle? Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet? Warum wird mir auf einmal lieblich helle? Als wenn im nächt'gen Wald uns Mondenglanz umweht.
Mit Rad und Kaͤmmen, Walz’ und Buͤgel. Ich ſtand am Thor, ihr ſolltet Schluͤſſel ſeyn; Zwar euer Bart iſt kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel. Geheimnißvoll am lichten Tag Laͤßt ſich Natur des Schleyers nicht berauben, Und was ſie deinem Geiſt nicht offenbaren mag, Das zwingſt du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben. Du alt Geraͤthe das ich nicht gebraucht, Du ſtehſt nur hier, weil dich mein Vater brauchte. Du alte Rolle, du wirſt angeraucht, So lang an dieſem Pult die truͤbe Lampe ſchmauchte. Weit beſſer haͤtt’ ich doch mein weniges verpraßt, Als mit dem wenigen belaſtet hier zu ſchwitzen! Was du ererbt von deinen Vaͤtern haſt Erwirb es, um es zu beſitzen. Was man nicht nuͤtzt iſt eine ſchwere Laſt, Nur was der Augenblick erſchafft, das kann er nuͤtzen. Doch warum heftet ſich mein Blick auf jene Stelle? Iſt jenes Flaͤſchchen dort den Augen ein Magnet? Warum wird mir auf einmal lieblich helle? Als wenn im naͤcht’gen Wald uns Mondenglanz umweht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#FAU"> <p><pb facs="#f0056" n="50"/> Mit Rad und Kaͤmmen, Walz’ und Buͤgel.<lb/> Ich ſtand am Thor, ihr ſolltet Schluͤſſel ſeyn;<lb/> Zwar euer Bart iſt kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.<lb/> Geheimnißvoll am lichten Tag<lb/> Laͤßt ſich Natur des Schleyers nicht berauben,<lb/> Und was ſie deinem Geiſt nicht offenbaren mag,<lb/> Das zwingſt du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.<lb/> Du alt Geraͤthe das ich nicht gebraucht,<lb/> Du ſtehſt nur hier, weil dich mein Vater brauchte.<lb/> Du alte Rolle, du wirſt angeraucht,<lb/> So lang an dieſem Pult die truͤbe Lampe ſchmauchte.<lb/> Weit beſſer haͤtt’ ich doch mein weniges verpraßt,<lb/> Als mit dem wenigen belaſtet hier zu ſchwitzen!<lb/> Was du ererbt von deinen Vaͤtern haſt<lb/> Erwirb es, um es zu beſitzen.<lb/> Was man nicht nuͤtzt iſt eine ſchwere Laſt,<lb/> Nur was der Augenblick erſchafft, das kann er nuͤtzen.</p><lb/> <p>Doch warum heftet ſich mein Blick auf jene Stelle?<lb/> Iſt jenes Flaͤſchchen dort den Augen ein Magnet?<lb/> Warum wird mir auf einmal lieblich helle?<lb/> Als wenn im naͤcht’gen Wald uns Mondenglanz umweht.</p><lb/> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [50/0056]
Mit Rad und Kaͤmmen, Walz’ und Buͤgel.
Ich ſtand am Thor, ihr ſolltet Schluͤſſel ſeyn;
Zwar euer Bart iſt kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.
Geheimnißvoll am lichten Tag
Laͤßt ſich Natur des Schleyers nicht berauben,
Und was ſie deinem Geiſt nicht offenbaren mag,
Das zwingſt du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.
Du alt Geraͤthe das ich nicht gebraucht,
Du ſtehſt nur hier, weil dich mein Vater brauchte.
Du alte Rolle, du wirſt angeraucht,
So lang an dieſem Pult die truͤbe Lampe ſchmauchte.
Weit beſſer haͤtt’ ich doch mein weniges verpraßt,
Als mit dem wenigen belaſtet hier zu ſchwitzen!
Was du ererbt von deinen Vaͤtern haſt
Erwirb es, um es zu beſitzen.
Was man nicht nuͤtzt iſt eine ſchwere Laſt,
Nur was der Augenblick erſchafft, das kann er nuͤtzen.
Doch warum heftet ſich mein Blick auf jene Stelle?
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Warum wird mir auf einmal lieblich helle?
Als wenn im naͤcht’gen Wald uns Mondenglanz umweht.
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust01_1808/56>, abgerufen am 25.09.2023. |