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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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Als man nach dem Verfasser des Liedes
fragte, gab er keine bestimmte Antwort, nur
versicherte er, daß er reich an Gesängen sey,
und wünsche nur, daß sie gefallen möchten.
Der größte Theil der Gesellschaft war fröh¬
lig und freudig, ja selbst Melina nach seiner
Art offen geworden, und indem man unter
einander schwatzte und scherzte, fing der Alte
das Lob des geselligen Lebens auf das geist¬
reichste zu singen an. Er pries Einigkeit
und Gefälligkeit mit einschmeichelnden Tönen.
Auf einmal ward sein Gesang trocken, rauh
und verworren, als er gehässige Verschlossen¬
heit, kurzsinnige Feindschaft und gefährlichen
Zwiespalt bedauerte, und gern warf jede
Seele diese unbequemen Fesseln ab, als er,
auf den Fittigen einer vordringenden Melo¬
die getragen, die Friedensstifter prieß, und
das Glück der Seelen, die sich wieder finden,
sang.

Als man nach dem Verfaſſer des Liedes
fragte, gab er keine beſtimmte Antwort, nur
verſicherte er, daß er reich an Geſängen ſey,
und wünſche nur, daß ſie gefallen möchten.
Der größte Theil der Geſellſchaft war fröh¬
lig und freudig, ja ſelbſt Melina nach ſeiner
Art offen geworden, und indem man unter
einander ſchwatzte und ſcherzte, fing der Alte
das Lob des geſelligen Lebens auf das geiſt¬
reichſte zu ſingen an. Er pries Einigkeit
und Gefälligkeit mit einſchmeichelnden Tönen.
Auf einmal ward ſein Geſang trocken, rauh
und verworren, als er gehäſſige Verſchloſſen¬
heit, kurzſinnige Feindſchaft und gefährlichen
Zwieſpalt bedauerte, und gern warf jede
Seele dieſe unbequemen Feſſeln ab, als er,
auf den Fittigen einer vordringenden Melo¬
die getragen, die Friedensſtifter prieß, und
das Glück der Seelen, die ſich wieder finden,
ſang.

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[326/0334] Als man nach dem Verfaſſer des Liedes fragte, gab er keine beſtimmte Antwort, nur verſicherte er, daß er reich an Geſängen ſey, und wünſche nur, daß ſie gefallen möchten. Der größte Theil der Geſellſchaft war fröh¬ lig und freudig, ja ſelbſt Melina nach ſeiner Art offen geworden, und indem man unter einander ſchwatzte und ſcherzte, fing der Alte das Lob des geſelligen Lebens auf das geiſt¬ reichſte zu ſingen an. Er pries Einigkeit und Gefälligkeit mit einſchmeichelnden Tönen. Auf einmal ward ſein Geſang trocken, rauh und verworren, als er gehäſſige Verſchloſſen¬ heit, kurzſinnige Feindſchaft und gefährlichen Zwieſpalt bedauerte, und gern warf jede Seele dieſe unbequemen Feſſeln ab, als er, auf den Fittigen einer vordringenden Melo¬ die getragen, die Friedensſtifter prieß, und das Glück der Seelen, die ſich wieder finden, ſang.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/334>, abgerufen am 28.03.2024.