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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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er den Harfenspieler. Das Lied, das er sehr
wohl verstehen konnte, enthielt den Trost ei¬
nes Unglücklichen, der sich dem Wahnsinne
ganz nahe fühlt. Leider hat Wilhelm davon
nur die letzte Strophe behalten.

An die Thüren will ich schleichen,
Still und sittsam will ich stehn,
Frommer Hand wird Nahrung reichen
Und ich werde weiter gehn.
Jeder wird sich glücklich scheinen
Wenn mein Bild vor ihm erscheint,
Eine Thräne wird er weinen,
Und ich weiß nicht was er weint.

Unter diesen Worten war er an die Gar¬
tenthüre gekommen, die nach einer entlege¬
nen Straße ging; er wollte, da er sie ver¬
schlossen fand, an den Spaliren übersteigen;
allein Wilhelm hielt ihn zurück und redete
ihm freundlich an. Der Alte bat ihn auf¬
zuschließen, weil er fliehen wolle und müsse.

er den Harfenſpieler. Das Lied, das er ſehr
wohl verſtehen konnte, enthielt den Troſt ei¬
nes Unglücklichen, der ſich dem Wahnſinne
ganz nahe fühlt. Leider hat Wilhelm davon
nur die letzte Strophe behalten.

An die Thüren will ich ſchleichen,
Still und ſittſam will ich ſtehn,
Frommer Hand wird Nahrung reichen
Und ich werde weiter gehn.
Jeder wird ſich glücklich ſcheinen
Wenn mein Bild vor ihm erſcheint,
Eine Thräne wird er weinen,
Und ich weiß nicht was er weint.

Unter dieſen Worten war er an die Gar¬
tenthüre gekommen, die nach einer entlege¬
nen Straße ging; er wollte, da er ſie ver¬
ſchloſſen fand, an den Spaliren überſteigen;
allein Wilhelm hielt ihn zurück und redete
ihm freundlich an. Der Alte bat ihn auf¬
zuſchließen, weil er fliehen wolle und müſſe.

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[146/0152] er den Harfenſpieler. Das Lied, das er ſehr wohl verſtehen konnte, enthielt den Troſt ei¬ nes Unglücklichen, der ſich dem Wahnſinne ganz nahe fühlt. Leider hat Wilhelm davon nur die letzte Strophe behalten. An die Thüren will ich ſchleichen, Still und ſittſam will ich ſtehn, Frommer Hand wird Nahrung reichen Und ich werde weiter gehn. Jeder wird ſich glücklich ſcheinen Wenn mein Bild vor ihm erſcheint, Eine Thräne wird er weinen, Und ich weiß nicht was er weint. Unter dieſen Worten war er an die Gar¬ tenthüre gekommen, die nach einer entlege¬ nen Straße ging; er wollte, da er ſie ver¬ ſchloſſen fand, an den Spaliren überſteigen; allein Wilhelm hielt ihn zurück und redete ihm freundlich an. Der Alte bat ihn auf¬ zuſchließen, weil er fliehen wolle und müſſe.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/152>, abgerufen am 20.04.2024.