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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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cher! man wird mich bald nackt dahin tra¬
gen, wo kein Beyfall mehr zu unsern Ohren
kommt! Mit diesen Worten sprang sie auf
und eilte nach der Thüre. Die Magd hatte
versäumt ihr den Mantel zu bringen, die
Portechaise war nicht da; es hatte geregnet
und ein sehr rauher Wind zog durch die
Straßen. Man redete ihr vergebens zu,
denn sie war übermäßig erhitzt; sie ging vor¬
setzlich langsam und lobte die Kühlung, die
sie recht begierig einzusaugen schien. Kaum
war sie zu Hause, als sie vor Heiserkeit kaum
ein Wort mehr sprechen konnte; sie gestand
aber nicht, daß sie im Nacken und den Rü¬
cken hinab eine völlige Steifigkeit fühlte.
Nicht lange so überfiel sie eine Art von Läh¬
mung der Zunge, so daß sie ein Wort fürs
andere sprach; man brachte sie zu Bette,
durch häufig angewandte Mittel legte sich
ein Übel, indem sich das andere zeigte. Das

cher! man wird mich bald nackt dahin tra¬
gen, wo kein Beyfall mehr zu unſern Ohren
kommt! Mit dieſen Worten ſprang ſie auf
und eilte nach der Thüre. Die Magd hatte
verſäumt ihr den Mantel zu bringen, die
Portechaiſe war nicht da; es hatte geregnet
und ein ſehr rauher Wind zog durch die
Straßen. Man redete ihr vergebens zu,
denn ſie war übermäßig erhitzt; ſie ging vor¬
ſetzlich langſam und lobte die Kühlung, die
ſie recht begierig einzuſaugen ſchien. Kaum
war ſie zu Hauſe, als ſie vor Heiſerkeit kaum
ein Wort mehr ſprechen konnte; ſie geſtand
aber nicht, daß ſie im Nacken und den Rü¬
cken hinab eine völlige Steifigkeit fühlte.
Nicht lange ſo überfiel ſie eine Art von Läh¬
mung der Zunge, ſo daß ſie ein Wort fürs
andere ſprach; man brachte ſie zu Bette,
durch häufig angewandte Mittel legte ſich
ein Übel, indem ſich das andere zeigte. Das

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[197/0203] cher! man wird mich bald nackt dahin tra¬ gen, wo kein Beyfall mehr zu unſern Ohren kommt! Mit dieſen Worten ſprang ſie auf und eilte nach der Thüre. Die Magd hatte verſäumt ihr den Mantel zu bringen, die Portechaiſe war nicht da; es hatte geregnet und ein ſehr rauher Wind zog durch die Straßen. Man redete ihr vergebens zu, denn ſie war übermäßig erhitzt; ſie ging vor¬ ſetzlich langſam und lobte die Kühlung, die ſie recht begierig einzuſaugen ſchien. Kaum war ſie zu Hauſe, als ſie vor Heiſerkeit kaum ein Wort mehr ſprechen konnte; ſie geſtand aber nicht, daß ſie im Nacken und den Rü¬ cken hinab eine völlige Steifigkeit fühlte. Nicht lange ſo überfiel ſie eine Art von Läh¬ mung der Zunge, ſo daß ſie ein Wort fürs andere ſprach; man brachte ſie zu Bette, durch häufig angewandte Mittel legte ſich ein Übel, indem ſich das andere zeigte. Das

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/203>, abgerufen am 19.04.2024.