Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

vergnügten mich sehr; aber was hätte ich
nicht gegeben, ein Geschöpf zu besitzen, das
in einem der Märchen meiner Tante eine
sehr wichtige Rolle spielte. Es war ein
Schäfchen, das von einem Bauermädchen in
dem Walde aufgefangen und ernährt wor¬
den war, aber in diesem artigen Thiere stack
ein verwünschter Prinz, der sich endlich wie¬
der als schöner Jüngling zeigte und seine
Wohlthäterin durch seine Hand belohnte.
So ein Schäfchen hätte ich gar zu gerne
besessen!

Nun wollte sich aber keines finden, und
da alles neben mir so ganz natürlich zuging,
mußte mir nach und nach die Hoffnung auf
einen so köstlichen Besitz fast vergehen. Un¬
terdessen tröstete ich mich, indem ich solche
Bücher las, in denen wunderbare Begeben¬
heiten beschrieben wurden. Unter allen war
mir der christliche deutsche Herkules der lieb¬

O 2

vergnügten mich ſehr; aber was hätte ich
nicht gegeben, ein Geſchöpf zu beſitzen, das
in einem der Märchen meiner Tante eine
ſehr wichtige Rolle ſpielte. Es war ein
Schäfchen, das von einem Bauermädchen in
dem Walde aufgefangen und ernährt wor¬
den war, aber in dieſem artigen Thiere ſtack
ein verwünſchter Prinz, der ſich endlich wie¬
der als ſchöner Jüngling zeigte und ſeine
Wohlthäterin durch ſeine Hand belohnte.
So ein Schäfchen hätte ich gar zu gerne
beſeſſen!

Nun wollte ſich aber keines finden, und
da alles neben mir ſo ganz natürlich zuging,
mußte mir nach und nach die Hoffnung auf
einen ſo köſtlichen Beſitz faſt vergehen. Un¬
terdeſſen tröſtete ich mich, indem ich ſolche
Bücher las, in denen wunderbare Begeben¬
heiten beſchrieben wurden. Unter allen war
mir der chriſtliche deutſche Herkules der lieb¬

O 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0217" n="211"/>
vergnügten mich &#x017F;ehr; aber was hätte ich<lb/>
nicht gegeben, ein Ge&#x017F;chöpf zu be&#x017F;itzen, das<lb/>
in einem der Märchen meiner Tante eine<lb/>
&#x017F;ehr wichtige Rolle &#x017F;pielte. Es war ein<lb/>
Schäfchen, das von einem Bauermädchen in<lb/>
dem Walde aufgefangen und ernährt wor¬<lb/>
den war, aber in die&#x017F;em artigen Thiere &#x017F;tack<lb/>
ein verwün&#x017F;chter Prinz, der &#x017F;ich endlich wie¬<lb/>
der als &#x017F;chöner Jüngling zeigte und &#x017F;eine<lb/>
Wohlthäterin durch &#x017F;eine Hand belohnte.<lb/>
So ein Schäfchen hätte ich gar zu gerne<lb/>
be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en!</p><lb/>
            <p>Nun wollte &#x017F;ich aber keines finden, und<lb/>
da alles neben mir &#x017F;o ganz natürlich zuging,<lb/>
mußte mir nach und nach die Hoffnung auf<lb/>
einen &#x017F;o kö&#x017F;tlichen Be&#x017F;itz fa&#x017F;t vergehen. Un¬<lb/>
terde&#x017F;&#x017F;en trö&#x017F;tete ich mich, indem ich &#x017F;olche<lb/>
Bücher las, in denen wunderbare Begeben¬<lb/>
heiten be&#x017F;chrieben wurden. Unter allen war<lb/>
mir der chri&#x017F;tliche deut&#x017F;che Herkules der lieb¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 2<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0217] vergnügten mich ſehr; aber was hätte ich nicht gegeben, ein Geſchöpf zu beſitzen, das in einem der Märchen meiner Tante eine ſehr wichtige Rolle ſpielte. Es war ein Schäfchen, das von einem Bauermädchen in dem Walde aufgefangen und ernährt wor¬ den war, aber in dieſem artigen Thiere ſtack ein verwünſchter Prinz, der ſich endlich wie¬ der als ſchöner Jüngling zeigte und ſeine Wohlthäterin durch ſeine Hand belohnte. So ein Schäfchen hätte ich gar zu gerne beſeſſen! Nun wollte ſich aber keines finden, und da alles neben mir ſo ganz natürlich zuging, mußte mir nach und nach die Hoffnung auf einen ſo köſtlichen Beſitz faſt vergehen. Un¬ terdeſſen tröſtete ich mich, indem ich ſolche Bücher las, in denen wunderbare Begeben¬ heiten beſchrieben wurden. Unter allen war mir der chriſtliche deutſche Herkules der lieb¬ O 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/217
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/217>, abgerufen am 24.04.2024.