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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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wohnt, ein Gemählde und einen Kupferstich
nur anzusehen, wie die Buchstaben eines
Buchs. Ein schöner Druck gefällt wohl, aber
wer wird ein Buch des Druckes wegen in
die Hand nehmen? So sollte mir auch eine
bildliche Darstellung etwas sagen, sie sollte
mich belehren, rühren, bessern, und der Oheim
mochte in seinen Briefen, mit denen er seine
Kunstwerke erläuterte, reden was er wollte,
so blieb es mit mir doch immer beym Alten.

Doch mehr als meine eigene Natur zo¬
gen mich äußere Begebenheiten, die Verän¬
derungen in meiner Familie von solchen Be¬
trachtungen, ja eine Weile von mir selbst ab;
ich mußte dulden und würken, mehr, als
meine schwachen Kräfte zu ertragen schienen.

Meine ledige Schwester war bisher mein
rechter Arm gewesen; gesund, stark und un¬
beschreiblich gütig hatte sie die Besorgung
der Haushaltung über sich genommen, wie

wohnt, ein Gemählde und einen Kupferſtich
nur anzuſehen, wie die Buchſtaben eines
Buchs. Ein ſchöner Druck gefällt wohl, aber
wer wird ein Buch des Druckes wegen in
die Hand nehmen? So ſollte mir auch eine
bildliche Darſtellung etwas ſagen, ſie ſollte
mich belehren, rühren, beſſern, und der Oheim
mochte in ſeinen Briefen, mit denen er ſeine
Kunſtwerke erläuterte, reden was er wollte,
ſo blieb es mit mir doch immer beym Alten.

Doch mehr als meine eigene Natur zo¬
gen mich äußere Begebenheiten, die Verän¬
derungen in meiner Familie von ſolchen Be¬
trachtungen, ja eine Weile von mir ſelbſt ab;
ich mußte dulden und würken, mehr, als
meine ſchwachen Kräfte zu ertragen ſchienen.

Meine ledige Schweſter war bisher mein
rechter Arm geweſen; geſund, ſtark und un¬
beſchreiblich gütig hatte ſie die Beſorgung
der Haushaltung über ſich genommen, wie

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[348/0354] wohnt, ein Gemählde und einen Kupferſtich nur anzuſehen, wie die Buchſtaben eines Buchs. Ein ſchöner Druck gefällt wohl, aber wer wird ein Buch des Druckes wegen in die Hand nehmen? So ſollte mir auch eine bildliche Darſtellung etwas ſagen, ſie ſollte mich belehren, rühren, beſſern, und der Oheim mochte in ſeinen Briefen, mit denen er ſeine Kunſtwerke erläuterte, reden was er wollte, ſo blieb es mit mir doch immer beym Alten. Doch mehr als meine eigene Natur zo¬ gen mich äußere Begebenheiten, die Verän¬ derungen in meiner Familie von ſolchen Be¬ trachtungen, ja eine Weile von mir ſelbſt ab; ich mußte dulden und würken, mehr, als meine ſchwachen Kräfte zu ertragen ſchienen. Meine ledige Schweſter war bisher mein rechter Arm geweſen; geſund, ſtark und un¬ beſchreiblich gütig hatte ſie die Beſorgung der Haushaltung über ſich genommen, wie

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/354>, abgerufen am 25.04.2024.