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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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mich die persönliche Pflege des alten Vaters
beschäftigte. Es überfällt sie ein Kathar,
woraus eine Brustkrankheit wird, und in
drey Wochen liegt sie auf der Bahre; ihr
Tod schlug mir Wunden, deren Narben ich
jetzt noch nicht gerne ansehe.

Ich lag krank zu Bette, ehe sie noch be¬
erdiget war; der alte Schaden auf meiner
Brust schien aufzuwachen, ich hustete heftig,
und war so heiser daß ich keinen lauten
Ton hervorbringen konnte.

Die verheirathete Schwester kam vor
Schrecken und Betrübniß zu früh in die
Wochen. Mein alter Vater fürchtete, seine
Kinder und die Hoffnung seiner Nachkom¬
menschaft auf einmal zu verliehren, seine
gerechte Thränen vermehrten meinen Jam¬
mer; ich flehte zu Gott um Herstellung einer
leidlichen Gesundheit, und bat ihn nur mein
Leben bis nach dem Tode des Vaters zu

mich die perſönliche Pflege des alten Vaters
beſchäftigte. Es überfällt ſie ein Kathar,
woraus eine Bruſtkrankheit wird, und in
drey Wochen liegt ſie auf der Bahre; ihr
Tod ſchlug mir Wunden, deren Narben ich
jetzt noch nicht gerne anſehe.

Ich lag krank zu Bette, ehe ſie noch be¬
erdiget war; der alte Schaden auf meiner
Bruſt ſchien aufzuwachen, ich huſtete heftig,
und war ſo heiſer daß ich keinen lauten
Ton hervorbringen konnte.

Die verheirathete Schweſter kam vor
Schrecken und Betrübniß zu früh in die
Wochen. Mein alter Vater fürchtete, ſeine
Kinder und die Hoffnung ſeiner Nachkom¬
menſchaft auf einmal zu verliehren, ſeine
gerechte Thränen vermehrten meinen Jam¬
mer; ich flehte zu Gott um Herſtellung einer
leidlichen Geſundheit, und bat ihn nur mein
Leben bis nach dem Tode des Vaters zu

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[349/0355] mich die perſönliche Pflege des alten Vaters beſchäftigte. Es überfällt ſie ein Kathar, woraus eine Bruſtkrankheit wird, und in drey Wochen liegt ſie auf der Bahre; ihr Tod ſchlug mir Wunden, deren Narben ich jetzt noch nicht gerne anſehe. Ich lag krank zu Bette, ehe ſie noch be¬ erdiget war; der alte Schaden auf meiner Bruſt ſchien aufzuwachen, ich huſtete heftig, und war ſo heiſer daß ich keinen lauten Ton hervorbringen konnte. Die verheirathete Schweſter kam vor Schrecken und Betrübniß zu früh in die Wochen. Mein alter Vater fürchtete, ſeine Kinder und die Hoffnung ſeiner Nachkom¬ menſchaft auf einmal zu verliehren, ſeine gerechte Thränen vermehrten meinen Jam¬ mer; ich flehte zu Gott um Herſtellung einer leidlichen Geſundheit, und bat ihn nur mein Leben bis nach dem Tode des Vaters zu

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/355>, abgerufen am 28.03.2024.