Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Mir die Umstände seines Todes zurück zu
rufen, der bald darauf erfolgte, ist in mei¬
ner Einsamkeit eine meiner angenehmsten
Unterhaltungen, und die sichtbaren Wirkun¬
gen einer höhern Kraft dabey wird mir nie¬
mand wegräsonniren.

Der Tod meines lieben Vaters veränder¬
te meine bisherige Lebensart. Aus dem
strengsten Gehorsam, aus der größten Ein¬
schränkung kam ich in die größte Freiheit,
und ich genoß ihrer wie einer Speise die
man lange entbehrt hat. Sonst war ich sel¬
ten zwey Stunden außer dem Hause, nun
verlebte ich kaum Einen Tag in meinem
Zimmer. Meine Freunde, bey denen ich
sonst nur abgerissene Besuche machen konnte,
wollten sich meines anhaltenden Umgangs,
so wie ich mich des ihrigen, erfreuen, öfters
wurde ich zu Tische geladen, Spazierfahrten
und kleine Lustreisen kamen hinzu, und ich

W. Meisters Lehrj. 3. Z

Mir die Umſtände ſeines Todes zurück zu
rufen, der bald darauf erfolgte, iſt in mei¬
ner Einſamkeit eine meiner angenehmſten
Unterhaltungen, und die ſichtbaren Wirkun¬
gen einer höhern Kraft dabey wird mir nie¬
mand wegräſonniren.

Der Tod meines lieben Vaters veränder¬
te meine bisherige Lebensart. Aus dem
ſtrengſten Gehorſam, aus der größten Ein¬
ſchränkung kam ich in die größte Freiheit,
und ich genoß ihrer wie einer Speiſe die
man lange entbehrt hat. Sonſt war ich ſel¬
ten zwey Stunden außer dem Hauſe, nun
verlebte ich kaum Einen Tag in meinem
Zimmer. Meine Freunde, bey denen ich
ſonſt nur abgeriſſene Beſuche machen konnte,
wollten ſich meines anhaltenden Umgangs,
ſo wie ich mich des ihrigen, erfreuen, öfters
wurde ich zu Tiſche geladen, Spazierfahrten
und kleine Luſtreiſen kamen hinzu, und ich

W. Meiſters Lehrj. 3. Z
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0359" n="353"/>
            <p>Mir die Um&#x017F;tände &#x017F;eines Todes zurück zu<lb/>
rufen, der bald darauf erfolgte, i&#x017F;t in mei¬<lb/>
ner Ein&#x017F;amkeit eine meiner angenehm&#x017F;ten<lb/>
Unterhaltungen, und die &#x017F;ichtbaren Wirkun¬<lb/>
gen einer höhern Kraft dabey wird mir nie¬<lb/>
mand wegrä&#x017F;onniren.</p><lb/>
            <p>Der Tod meines lieben Vaters veränder¬<lb/>
te meine bisherige Lebensart. Aus dem<lb/>
&#x017F;treng&#x017F;ten Gehor&#x017F;am, aus der größten Ein¬<lb/>
&#x017F;chränkung kam ich in die größte Freiheit,<lb/>
und ich genoß ihrer wie einer Spei&#x017F;e die<lb/>
man lange entbehrt hat. Son&#x017F;t war ich &#x017F;el¬<lb/>
ten zwey Stunden außer dem Hau&#x017F;e, nun<lb/>
verlebte ich kaum Einen Tag in meinem<lb/>
Zimmer. Meine Freunde, bey denen ich<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t nur abgeri&#x017F;&#x017F;ene Be&#x017F;uche machen konnte,<lb/>
wollten &#x017F;ich meines anhaltenden Umgangs,<lb/>
&#x017F;o wie ich mich des ihrigen, erfreuen, öfters<lb/>
wurde ich zu Ti&#x017F;che geladen, Spazierfahrten<lb/>
und kleine Lu&#x017F;trei&#x017F;en kamen hinzu, und ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">W. Mei&#x017F;ters Lehrj. 3. Z<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[353/0359] Mir die Umſtände ſeines Todes zurück zu rufen, der bald darauf erfolgte, iſt in mei¬ ner Einſamkeit eine meiner angenehmſten Unterhaltungen, und die ſichtbaren Wirkun¬ gen einer höhern Kraft dabey wird mir nie¬ mand wegräſonniren. Der Tod meines lieben Vaters veränder¬ te meine bisherige Lebensart. Aus dem ſtrengſten Gehorſam, aus der größten Ein¬ ſchränkung kam ich in die größte Freiheit, und ich genoß ihrer wie einer Speiſe die man lange entbehrt hat. Sonſt war ich ſel¬ ten zwey Stunden außer dem Hauſe, nun verlebte ich kaum Einen Tag in meinem Zimmer. Meine Freunde, bey denen ich ſonſt nur abgeriſſene Beſuche machen konnte, wollten ſich meines anhaltenden Umgangs, ſo wie ich mich des ihrigen, erfreuen, öfters wurde ich zu Tiſche geladen, Spazierfahrten und kleine Luſtreiſen kamen hinzu, und ich W. Meiſters Lehrj. 3. Z

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/359
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/359>, abgerufen am 19.04.2024.