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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Gefühle so wenig als nur möglich nachzu¬
hängen, lehrte mich ein edler Freund, der
sich mir immer näher verband; es war der
Arzt, den ich in dem Hause meines Oheims
hatte kennen lernen, und der sich von der
Verfassung meines Körpers und meines Gei¬
stes sehr gut unterrichtet hatte; er zeigte
mir wie sehr diese Empfindungen, wenn wir
sie, unabhängig von äußern Gegenständen,
in uns nähren, uns gewissermaßen aushöh¬
len und den Grund unseres Daseyns unter¬
graben. Thätig zu seyn, sagte er, ist des
Menschen erste Bestimmung, und alle Zwi¬
schenzeiten, in denen er auszuruhen genöthi¬
get ist, sollte er anwenden eine deutliche Er¬
kenntniß der äusserlichen Dinge zu erlangen,
die ihm in der Folge abermals seine Thä¬
tigkeit erleichtert.

Da der Freund meine Gewohnheit kann¬
te, meinen eigenen Körper als einen äußern

Gefühle ſo wenig als nur möglich nachzu¬
hängen, lehrte mich ein edler Freund, der
ſich mir immer näher verband; es war der
Arzt, den ich in dem Hauſe meines Oheims
hatte kennen lernen, und der ſich von der
Verfaſſung meines Körpers und meines Gei¬
ſtes ſehr gut unterrichtet hatte; er zeigte
mir wie ſehr dieſe Empfindungen, wenn wir
ſie, unabhängig von äußern Gegenſtänden,
in uns nähren, uns gewiſſermaßen aushöh¬
len und den Grund unſeres Daſeyns unter¬
graben. Thätig zu ſeyn, ſagte er, iſt des
Menſchen erſte Beſtimmung, und alle Zwi¬
ſchenzeiten, in denen er auszuruhen genöthi¬
get iſt, ſollte er anwenden eine deutliche Er¬
kenntniß der äuſſerlichen Dinge zu erlangen,
die ihm in der Folge abermals ſeine Thä¬
tigkeit erleichtert.

Da der Freund meine Gewohnheit kann¬
te, meinen eigenen Körper als einen äußern

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[358/0364] Gefühle ſo wenig als nur möglich nachzu¬ hängen, lehrte mich ein edler Freund, der ſich mir immer näher verband; es war der Arzt, den ich in dem Hauſe meines Oheims hatte kennen lernen, und der ſich von der Verfaſſung meines Körpers und meines Gei¬ ſtes ſehr gut unterrichtet hatte; er zeigte mir wie ſehr dieſe Empfindungen, wenn wir ſie, unabhängig von äußern Gegenſtänden, in uns nähren, uns gewiſſermaßen aushöh¬ len und den Grund unſeres Daſeyns unter¬ graben. Thätig zu ſeyn, ſagte er, iſt des Menſchen erſte Beſtimmung, und alle Zwi¬ ſchenzeiten, in denen er auszuruhen genöthi¬ get iſt, ſollte er anwenden eine deutliche Er¬ kenntniß der äuſſerlichen Dinge zu erlangen, die ihm in der Folge abermals ſeine Thä¬ tigkeit erleichtert. Da der Freund meine Gewohnheit kann¬ te, meinen eigenen Körper als einen äußern

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/364>, abgerufen am 20.04.2024.