Mein Freund, rief Serlo aus, Sie wer¬ den es auch schon werden. Ich kenne das Abscheuliche dieser Manier nur zu wohl, die vielleicht noch auf keinem Theater in der Welt statt gefunden hat. Aber wo ist auch eins so verwahrlost als das unsere? Zu dieser ekelhaften Verstümmelung zwingen uns die Autoren, und das Publikum erlaubt sie. Wie viel Stücke haben wir denn, die nicht über das Maaß des Personals, der Dekorationen und Theatermechanik, der Zeit, des Dialogs und der physischen Kräfte des Acteurs hinausschritten? und doch sollen wir spielen und immer spielen und immer neu spielen. Sollen wir uns dabey nicht unsres Vortheils bedienen, da wir mit zerstückelten Werken eben so viel ausrichten als mit gan¬ zen? Setzt uns das Publikum doch selbst in den Vortheil! Wenig Deutsche, und vielleicht nur wenige Menschen aller neuern
Mein Freund, rief Serlo aus, Sie wer¬ den es auch ſchon werden. Ich kenne das Abſcheuliche dieſer Manier nur zu wohl, die vielleicht noch auf keinem Theater in der Welt ſtatt gefunden hat. Aber wo iſt auch eins ſo verwahrloſt als das unſere? Zu dieſer ekelhaften Verſtümmelung zwingen uns die Autoren, und das Publikum erlaubt ſie. Wie viel Stücke haben wir denn, die nicht über das Maaß des Perſonals, der Dekorationen und Theatermechanik, der Zeit, des Dialogs und der phyſiſchen Kräfte des Acteurs hinausſchritten? und doch ſollen wir ſpielen und immer ſpielen und immer neu ſpielen. Sollen wir uns dabey nicht unſres Vortheils bedienen, da wir mit zerſtückelten Werken eben ſo viel ausrichten als mit gan¬ zen? Setzt uns das Publikum doch ſelbſt in den Vortheil! Wenig Deutſche, und vielleicht nur wenige Menſchen aller neuern
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Mein Freund, rief Serlo aus, Sie wer¬
den es auch ſchon werden. Ich kenne das
Abſcheuliche dieſer Manier nur zu wohl, die
vielleicht noch auf keinem Theater in der
Welt ſtatt gefunden hat. Aber wo iſt auch
eins ſo verwahrloſt als das unſere? Zu
dieſer ekelhaften Verſtümmelung zwingen
uns die Autoren, und das Publikum erlaubt
ſie. Wie viel Stücke haben wir denn, die
nicht über das Maaß des Perſonals, der
Dekorationen und Theatermechanik, der Zeit,
des Dialogs und der phyſiſchen Kräfte des
Acteurs hinausſchritten? und doch ſollen wir
ſpielen und immer ſpielen und immer neu
ſpielen. Sollen wir uns dabey nicht unſres
Vortheils bedienen, da wir mit zerſtückelten
Werken eben ſo viel ausrichten als mit gan¬
zen? Setzt uns das Publikum doch ſelbſt
in den Vortheil! Wenig Deutſche, und
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/47>, abgerufen am 24.04.2024.
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