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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Noth vernehmlich zulispelt. Er fühlt wel¬
chen Theil seiner Rolle der Schauspieler voll¬
kommen inne hat, und ahndet von weitem
wenn ihn das Gedächtniß verlassen will.
In einigen Fällen, da ich die Rolle kaum
überlesen konnte, da er sie mir Wort vor
Wort vorsagte, spielte ich sie mit Glück;
nur hat er Sonderbarkeiten, die jeden an¬
dern unbrauchbar machen würden: er nimmt
so herzlichen Antheil an den Stücken, daß
er pathetische Stellen nicht eben declamirt,
aber doch affectvoll rezitirt. Mit dieser Un¬
art hat er mich mehr als einmal irre
gemacht.

So wie er mich, sagte Aurelie, mit einer
andern Sonderbarkeit einst an einer sehr ge¬
fährlichen Stelle stecken ließ.

Wie war das bei seiner Aufmerksamkeit
möglich? fragte Wilhelm.

Er wird, versetzte Aurelie, bey gewissen

Noth vernehmlich zuliſpelt. Er fühlt wel¬
chen Theil ſeiner Rolle der Schauſpieler voll¬
kommen inne hat, und ahndet von weitem
wenn ihn das Gedächtniß verlaſſen will.
In einigen Fällen, da ich die Rolle kaum
überleſen konnte, da er ſie mir Wort vor
Wort vorſagte, ſpielte ich ſie mit Glück;
nur hat er Sonderbarkeiten, die jeden an¬
dern unbrauchbar machen würden: er nimmt
ſo herzlichen Antheil an den Stücken, daß
er pathetiſche Stellen nicht eben declamirt,
aber doch affectvoll rezitirt. Mit dieſer Un¬
art hat er mich mehr als einmal irre
gemacht.

So wie er mich, ſagte Aurelie, mit einer
andern Sonderbarkeit einſt an einer ſehr ge¬
fährlichen Stelle ſtecken ließ.

Wie war das bei ſeiner Aufmerkſamkeit
möglich? fragte Wilhelm.

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[62/0068] Noth vernehmlich zuliſpelt. Er fühlt wel¬ chen Theil ſeiner Rolle der Schauſpieler voll¬ kommen inne hat, und ahndet von weitem wenn ihn das Gedächtniß verlaſſen will. In einigen Fällen, da ich die Rolle kaum überleſen konnte, da er ſie mir Wort vor Wort vorſagte, ſpielte ich ſie mit Glück; nur hat er Sonderbarkeiten, die jeden an¬ dern unbrauchbar machen würden: er nimmt ſo herzlichen Antheil an den Stücken, daß er pathetiſche Stellen nicht eben declamirt, aber doch affectvoll rezitirt. Mit dieſer Un¬ art hat er mich mehr als einmal irre gemacht. So wie er mich, ſagte Aurelie, mit einer andern Sonderbarkeit einſt an einer ſehr ge¬ fährlichen Stelle ſtecken ließ. Wie war das bei ſeiner Aufmerkſamkeit möglich? fragte Wilhelm. Er wird, verſetzte Aurelie, bey gewiſſen

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/68>, abgerufen am 25.04.2024.