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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Stellen so gerührt, daß er heiße Thränen
weint, und einige Augenblicke ganz aus der
Fassung kommt; und es sind eigentlich nicht
die sogenannten rührenden Stellen, die ihn
in diesen Zustand versetzen; es sind, wenn
ich mich deutlich ausdrücke, die schönen
Stellen, aus welchen der reine Geist des
Dichters gleichsam aus hellen offenen Augen
hervorsieht, Stellen, bey denen wir andern
uns nur höchstens freuen, und über die viele
Tausend wegsehen.

Und warum erscheint er mit dieser zarten
Seele nicht auf dem Theater?

Ein heischeres Organ und ein steifes Be¬
tragen schließen ihn von der Bühne, und
seine hypochondrische Natur von der Gesell¬
schaft aus, versetzte Serlo. Wieviel Mühe
habe ich mir nicht gegeben, ihn an mich zu
gewöhnen? aber vergebens. Er ließt vor¬
trefflich, wie ich nicht wieder habe lesen hö¬

Stellen ſo gerührt, daß er heiße Thränen
weint, und einige Augenblicke ganz aus der
Faſſung kommt; und es ſind eigentlich nicht
die ſogenannten rührenden Stellen, die ihn
in dieſen Zuſtand verſetzen; es ſind, wenn
ich mich deutlich ausdrücke, die ſchönen
Stellen, aus welchen der reine Geiſt des
Dichters gleichſam aus hellen offenen Augen
hervorſieht, Stellen, bey denen wir andern
uns nur höchſtens freuen, und über die viele
Tauſend wegſehen.

Und warum erſcheint er mit dieſer zarten
Seele nicht auf dem Theater?

Ein heiſcheres Organ und ein ſteifes Be¬
tragen ſchließen ihn von der Bühne, und
ſeine hypochondriſche Natur von der Geſell¬
ſchaft aus, verſetzte Serlo. Wieviel Mühe
habe ich mir nicht gegeben, ihn an mich zu
gewöhnen? aber vergebens. Er ließt vor¬
trefflich, wie ich nicht wieder habe leſen hö¬

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[63/0069] Stellen ſo gerührt, daß er heiße Thränen weint, und einige Augenblicke ganz aus der Faſſung kommt; und es ſind eigentlich nicht die ſogenannten rührenden Stellen, die ihn in dieſen Zuſtand verſetzen; es ſind, wenn ich mich deutlich ausdrücke, die ſchönen Stellen, aus welchen der reine Geiſt des Dichters gleichſam aus hellen offenen Augen hervorſieht, Stellen, bey denen wir andern uns nur höchſtens freuen, und über die viele Tauſend wegſehen. Und warum erſcheint er mit dieſer zarten Seele nicht auf dem Theater? Ein heiſcheres Organ und ein ſteifes Be¬ tragen ſchließen ihn von der Bühne, und ſeine hypochondriſche Natur von der Geſell¬ ſchaft aus, verſetzte Serlo. Wieviel Mühe habe ich mir nicht gegeben, ihn an mich zu gewöhnen? aber vergebens. Er ließt vor¬ trefflich, wie ich nicht wieder habe leſen hö¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/69>, abgerufen am 24.04.2024.