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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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bald sie ihn nicht vollkommen verstünden
mit dem Schlüssel auf die Bank pochen
möchten. Er artikulirte gut, sprach gemäßigt
aus, steigerte den Ton stufenweise, und über¬
schrie sich nicht in den heftigsten Stellen.
Die pochenden Schlüssel hörte man bey je¬
der Probe weniger; nach und nach ließen
sich die andern dieselbe Operation gefallen,
und man konnte hoffen, daß das Stück end¬
lich in allen Winkeln des Hauses von jeder¬
mann würde verstanden werden.

Man sieht aus diesem Beyspiel wie gern
die Menschen ihren Zweck nur auf ihre ei¬
gene Weise erreichen möchten; wieviel Noth
man hat, ihnen begreiflich zu machen was
sich eigentlich von selbst versteht, und wie
schwer es ist, denjenigen, der etwas zu lei¬
sten wünscht, zur Erkenntniß der ersten Be¬
dingungen zu bringen, unter denen sein Vor¬
haben allein möglich wird.


bald ſie ihn nicht vollkommen verſtünden
mit dem Schlüſſel auf die Bank pochen
möchten. Er artikulirte gut, ſprach gemäßigt
aus, ſteigerte den Ton ſtufenweiſe, und über¬
ſchrie ſich nicht in den heftigſten Stellen.
Die pochenden Schlüſſel hörte man bey je¬
der Probe weniger; nach und nach ließen
ſich die andern dieſelbe Operation gefallen,
und man konnte hoffen, daß das Stück end¬
lich in allen Winkeln des Hauſes von jeder¬
mann würde verſtanden werden.

Man ſieht aus dieſem Beyſpiel wie gern
die Menſchen ihren Zweck nur auf ihre ei¬
gene Weiſe erreichen möchten; wieviel Noth
man hat, ihnen begreiflich zu machen was
ſich eigentlich von ſelbſt verſteht, und wie
ſchwer es iſt, denjenigen, der etwas zu lei¬
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dingungen zu bringen, unter denen ſein Vor¬
haben allein möglich wird.


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[89/0095] bald ſie ihn nicht vollkommen verſtünden mit dem Schlüſſel auf die Bank pochen möchten. Er artikulirte gut, ſprach gemäßigt aus, ſteigerte den Ton ſtufenweiſe, und über¬ ſchrie ſich nicht in den heftigſten Stellen. Die pochenden Schlüſſel hörte man bey je¬ der Probe weniger; nach und nach ließen ſich die andern dieſelbe Operation gefallen, und man konnte hoffen, daß das Stück end¬ lich in allen Winkeln des Hauſes von jeder¬ mann würde verſtanden werden. Man ſieht aus dieſem Beyſpiel wie gern die Menſchen ihren Zweck nur auf ihre ei¬ gene Weiſe erreichen möchten; wieviel Noth man hat, ihnen begreiflich zu machen was ſich eigentlich von ſelbſt verſteht, und wie ſchwer es iſt, denjenigen, der etwas zu lei¬ ſten wünſcht, zur Erkenntniß der erſten Be¬ dingungen zu bringen, unter denen ſein Vor¬ haben allein möglich wird.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/95>, abgerufen am 29.03.2024.