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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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keinen Versuch Ottilien sonst irgendwo unter¬
zugeben, in neue Verhältnisse zu bringen.
Außer dem Bezirk deines Schlosses, deines
Parks, fremden Menschen anvertraut, gehört
sie mir und ich werde mich ihrer bemächtigen.
Ehrst du aber meine Neigung, meine Wün¬
sche, meine Schmerzen; schmeichelst du mei¬
nem Wahn, meinen Hoffnungen: so will ich
auch der Genesung nicht widerstreben, wenn
sie sich mir anbietet. --

Diese letzte Wendung floß ihm aus der
Feder, nicht aus dem Herzen. Ja wie er
sie auf dem Papier sah, fing er bitterlich zu
weinen an. Er sollte auf irgend eine Weise
dem Glück, ja dem Unglück Ottilien zu lie¬
ben, entsagen! Jetzt erst fühlte er was er
that. Er entfernte sich, ohne zu wissen was
daraus entstehen konnte. Er sollte sie we¬
nigstens jetzt nicht wiedersehen, ob er sie je
wiedersähe, welche Sicherheit konnte er sich
darüber versprechen? Aber der Brief war ge¬

keinen Verſuch Ottilien ſonſt irgendwo unter¬
zugeben, in neue Verhaͤltniſſe zu bringen.
Außer dem Bezirk deines Schloſſes, deines
Parks, fremden Menſchen anvertraut, gehoͤrt
ſie mir und ich werde mich ihrer bemaͤchtigen.
Ehrſt du aber meine Neigung, meine Wuͤn¬
ſche, meine Schmerzen; ſchmeichelſt du mei¬
nem Wahn, meinen Hoffnungen: ſo will ich
auch der Geneſung nicht widerſtreben, wenn
ſie ſich mir anbietet. —

Dieſe letzte Wendung floß ihm aus der
Feder, nicht aus dem Herzen. Ja wie er
ſie auf dem Papier ſah, fing er bitterlich zu
weinen an. Er ſollte auf irgend eine Weiſe
dem Gluͤck, ja dem Ungluͤck Ottilien zu lie¬
ben, entſagen! Jetzt erſt fuͤhlte er was er
that. Er entfernte ſich, ohne zu wiſſen was
daraus entſtehen konnte. Er ſollte ſie we¬
nigſtens jetzt nicht wiederſehen, ob er ſie je
wiederſaͤhe, welche Sicherheit konnte er ſich
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[268/0273] keinen Verſuch Ottilien ſonſt irgendwo unter¬ zugeben, in neue Verhaͤltniſſe zu bringen. Außer dem Bezirk deines Schloſſes, deines Parks, fremden Menſchen anvertraut, gehoͤrt ſie mir und ich werde mich ihrer bemaͤchtigen. Ehrſt du aber meine Neigung, meine Wuͤn¬ ſche, meine Schmerzen; ſchmeichelſt du mei¬ nem Wahn, meinen Hoffnungen: ſo will ich auch der Geneſung nicht widerſtreben, wenn ſie ſich mir anbietet. — Dieſe letzte Wendung floß ihm aus der Feder, nicht aus dem Herzen. Ja wie er ſie auf dem Papier ſah, fing er bitterlich zu weinen an. Er ſollte auf irgend eine Weiſe dem Gluͤck, ja dem Ungluͤck Ottilien zu lie¬ ben, entſagen! Jetzt erſt fuͤhlte er was er that. Er entfernte ſich, ohne zu wiſſen was daraus entſtehen konnte. Er ſollte ſie we¬ nigſtens jetzt nicht wiederſehen, ob er ſie je wiederſaͤhe, welche Sicherheit konnte er ſich daruͤber verſprechen? Aber der Brief war ge¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/273>, abgerufen am 25.04.2024.