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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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Alles vergebens! Ohne Bewegung liegt
das Kind in ihren Armen, ohne Bewegung
steht der Kahn auf der Wasserfläche; aber
auch hier läßt ihr schönes Gemüth sie nicht
hülflos. Sie wendet sich nach oben. Knieend
sinkt sie in dem Kahne nieder und hebt das
erstarrte Kind mit beyden Armen über ihre
unschuldige Brust, die an Weiße und leider
auch an Kälte dem Marmor gleicht. Mit
feuchtem Blick sieht sie empor und ruft Hülfe
von daher, wo ein zartes Herz die größte
Fülle zu finden hofft, wenn es überall mangelt.

Auch wendet sie sich nicht vergebens zu
den Sternen, die schon einzeln hervorzublin¬
ken anfangen. Ein sanfter Wind erhebt sich
und treibt den Kahn nach den Platanen.


Alles vergebens! Ohne Bewegung liegt
das Kind in ihren Armen, ohne Bewegung
ſteht der Kahn auf der Waſſerflaͤche; aber
auch hier laͤßt ihr ſchoͤnes Gemuͤth ſie nicht
huͤlflos. Sie wendet ſich nach oben. Knieend
ſinkt ſie in dem Kahne nieder und hebt das
erſtarrte Kind mit beyden Armen uͤber ihre
unſchuldige Bruſt, die an Weiße und leider
auch an Kaͤlte dem Marmor gleicht. Mit
feuchtem Blick ſieht ſie empor und ruft Huͤlfe
von daher, wo ein zartes Herz die groͤßte
Fuͤlle zu finden hofft, wenn es uͤberall mangelt.

Auch wendet ſie ſich nicht vergebens zu
den Sternen, die ſchon einzeln hervorzublin¬
ken anfangen. Ein ſanfter Wind erhebt ſich
und treibt den Kahn nach den Platanen.


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[256/0259] Alles vergebens! Ohne Bewegung liegt das Kind in ihren Armen, ohne Bewegung ſteht der Kahn auf der Waſſerflaͤche; aber auch hier laͤßt ihr ſchoͤnes Gemuͤth ſie nicht huͤlflos. Sie wendet ſich nach oben. Knieend ſinkt ſie in dem Kahne nieder und hebt das erſtarrte Kind mit beyden Armen uͤber ihre unſchuldige Bruſt, die an Weiße und leider auch an Kaͤlte dem Marmor gleicht. Mit feuchtem Blick ſieht ſie empor und ruft Huͤlfe von daher, wo ein zartes Herz die groͤßte Fuͤlle zu finden hofft, wenn es uͤberall mangelt. Auch wendet ſie ſich nicht vergebens zu den Sternen, die ſchon einzeln hervorzublin¬ ken anfangen. Ein ſanfter Wind erhebt ſich und treibt den Kahn nach den Platanen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/259>, abgerufen am 24.04.2024.