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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.

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Wir machten einige Touren gehend im Saale,
um zu verschnauffen. Dann sezte sie sich, und die
Zitronen, die ich weggestohlen hatte beym Punsch
machen, die nun die einzigen noch übrigen waren,
und die ich ihr in Schnittchen, mit Zukker zur Erfri-
schung brachte, thaten fürtrefliche Würkung, nur
daß mir mit jedem Schnittgen das ihre Nachbarinn
aus der Tasse nahm, ein Stich durch's Herz gieng,
der ich's nun freylich Schanden halber mit prä-
sentiren mußte.

Beym dritten Englischen waren wir das zwey-
te Paar. Wie wir die Reihe so durchtanzten, und
ich, weis Gott mit wie viel Wonne, an ihrem Arme
und Auge hieng, das voll vom wahrsten Ausdrukke
des offensten reinsten Vergnügens war, kommen wir
an eine Frau, die mir wegen ihrer liebenswürdi-
gen Mine auf einem nicht mehr ganz jungen Ge-
sichte, merkwürdig gewesen war. Sie sieht Lotten
lächelnd an, hebt einen drohenden Finger auf, und
nennt den Nahmen Albert zweymal im Vorbey-
fliegen mit viel Bedeutung.

Wer ist Albert, sagte ich zu Lotten, wenns
nicht Vermessenheit ist zu fragen. Sie war im

Begriff
C 4


Wir machten einige Touren gehend im Saale,
um zu verſchnauffen. Dann ſezte ſie ſich, und die
Zitronen, die ich weggeſtohlen hatte beym Punſch
machen, die nun die einzigen noch uͤbrigen waren,
und die ich ihr in Schnittchen, mit Zukker zur Erfri-
ſchung brachte, thaten fuͤrtrefliche Wuͤrkung, nur
daß mir mit jedem Schnittgen das ihre Nachbarinn
aus der Taſſe nahm, ein Stich durch’s Herz gieng,
der ich’s nun freylich Schanden halber mit praͤ-
ſentiren mußte.

Beym dritten Engliſchen waren wir das zwey-
te Paar. Wie wir die Reihe ſo durchtanzten, und
ich, weis Gott mit wie viel Wonne, an ihrem Arme
und Auge hieng, das voll vom wahrſten Ausdrukke
des offenſten reinſten Vergnuͤgens war, kommen wir
an eine Frau, die mir wegen ihrer liebenswuͤrdi-
gen Mine auf einem nicht mehr ganz jungen Ge-
ſichte, merkwuͤrdig geweſen war. Sie ſieht Lotten
laͤchelnd an, hebt einen drohenden Finger auf, und
nennt den Nahmen Albert zweymal im Vorbey-
fliegen mit viel Bedeutung.

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nicht Vermeſſenheit iſt zu fragen. Sie war im

Begriff
C 4
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[36[39]/0039] Wir machten einige Touren gehend im Saale, um zu verſchnauffen. Dann ſezte ſie ſich, und die Zitronen, die ich weggeſtohlen hatte beym Punſch machen, die nun die einzigen noch uͤbrigen waren, und die ich ihr in Schnittchen, mit Zukker zur Erfri- ſchung brachte, thaten fuͤrtrefliche Wuͤrkung, nur daß mir mit jedem Schnittgen das ihre Nachbarinn aus der Taſſe nahm, ein Stich durch’s Herz gieng, der ich’s nun freylich Schanden halber mit praͤ- ſentiren mußte. Beym dritten Engliſchen waren wir das zwey- te Paar. Wie wir die Reihe ſo durchtanzten, und ich, weis Gott mit wie viel Wonne, an ihrem Arme und Auge hieng, das voll vom wahrſten Ausdrukke des offenſten reinſten Vergnuͤgens war, kommen wir an eine Frau, die mir wegen ihrer liebenswuͤrdi- gen Mine auf einem nicht mehr ganz jungen Ge- ſichte, merkwuͤrdig geweſen war. Sie ſieht Lotten laͤchelnd an, hebt einen drohenden Finger auf, und nennt den Nahmen Albert zweymal im Vorbey- fliegen mit viel Bedeutung. Wer iſt Albert, ſagte ich zu Lotten, wenns nicht Vermeſſenheit iſt zu fragen. Sie war im Begriff C 4

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 36[39]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/39>, abgerufen am 24.04.2024.