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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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erhielt, einen Brief, vor dem ich mich niederge-
kniet, und den hohen, ed en, wei en Sinn angebe-
tet habe, wie er meine allzugrosse Empfindlichkeit
zurechte weißt, wie er meine überspannte Jdeen
von Würksamkeit, von Einfluß auf andre, von
Durchdringen in Geschäften als jugendlichen guten
Muth zwar ehrt, sie nicht auszurotten, nur zu
mildern und dahin zu leiten sucht, wo sie ihr wah-
res Spiel haben, ihre kräftige Würkung thun kön-
nen. Auch bin ich auf acht Tage gestärkt, und in
mir selbst einig geworden. Die Ruhe der Seele
ist ein herrlich Ding, und die Freude an sich selbst,
lieber Freund, wenn nur das Ding nicht eben so
zerbrechlich wäre, als es schön und kostbar ist.




Gott segne euch, meine Lieben, geb euch all die
guten Tage, die er mir abzieht.

Jch danke dir Albert, daß du mich betrogen
hast, ich wartete auf Nachricht, wann euer Hochzeit-
tag seyn würde, und hatte mir vorgenommen, feyer-
lichst an demselben Lottens Schattenriß von der

Wand



erhielt, einen Brief, vor dem ich mich niederge-
kniet, und den hohen, ed en, wei en Sinn angebe-
tet habe, wie er meine allzugroſſe Empfindlichkeit
zurechte weißt, wie er meine uͤberſpannte Jdeen
von Wuͤrkſamkeit, von Einfluß auf andre, von
Durchdringen in Geſchaͤften als jugendlichen guten
Muth zwar ehrt, ſie nicht auszurotten, nur zu
mildern und dahin zu leiten ſucht, wo ſie ihr wah-
res Spiel haben, ihre kraͤftige Wuͤrkung thun koͤn-
nen. Auch bin ich auf acht Tage geſtaͤrkt, und in
mir ſelbſt einig geworden. Die Ruhe der Seele
iſt ein herrlich Ding, und die Freude an ſich ſelbſt,
lieber Freund, wenn nur das Ding nicht eben ſo
zerbrechlich waͤre, als es ſchoͤn und koſtbar iſt.




Gott ſegne euch, meine Lieben, geb euch all die
guten Tage, die er mir abzieht.

Jch danke dir Albert, daß du mich betrogen
haſt, ich wartete auf Nachricht, wann euer Hochzeit-
tag ſeyn wuͤrde, und hatte mir vorgenommen, feyer-
lichſt an demſelben Lottens Schattenriß von der

Wand
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[128/0016] erhielt, einen Brief, vor dem ich mich niederge- kniet, und den hohen, ed en, wei en Sinn angebe- tet habe, wie er meine allzugroſſe Empfindlichkeit zurechte weißt, wie er meine uͤberſpannte Jdeen von Wuͤrkſamkeit, von Einfluß auf andre, von Durchdringen in Geſchaͤften als jugendlichen guten Muth zwar ehrt, ſie nicht auszurotten, nur zu mildern und dahin zu leiten ſucht, wo ſie ihr wah- res Spiel haben, ihre kraͤftige Wuͤrkung thun koͤn- nen. Auch bin ich auf acht Tage geſtaͤrkt, und in mir ſelbſt einig geworden. Die Ruhe der Seele iſt ein herrlich Ding, und die Freude an ſich ſelbſt, lieber Freund, wenn nur das Ding nicht eben ſo zerbrechlich waͤre, als es ſchoͤn und koſtbar iſt. am 20. Febr. Gott ſegne euch, meine Lieben, geb euch all die guten Tage, die er mir abzieht. Jch danke dir Albert, daß du mich betrogen haſt, ich wartete auf Nachricht, wann euer Hochzeit- tag ſeyn wuͤrde, und hatte mir vorgenommen, feyer- lichſt an demſelben Lottens Schattenriß von der Wand

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/16>, abgerufen am 29.03.2024.