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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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ihr, gieng in der Stube auf und ab, und mur,
melte das: es kann nicht so bleiben! zwischen den
Zähnen. Lotte, die den schröklichen Zustand fühlte,
worinn ihn diese Worte versezt hatten, suchte durch
allerley Fragen seine Gedanken abzulenken, aber
vergebens: Nein, Lotte, rief er aus: ich werde Sie
nicht wieder sehn! -- Warum das? versezte sie,
Werther, Sie können, Sie müssen uns wieder
sehen, nur mässigen Sie sich. O! warum mußten
Sie mit dieser Hestigkeit, dieser unbezwinglich haf-
tenden Leidenschaft für alles, das Sie einmal an-
fassen, gebohren werden. Jch bitte Sie, fuhr sie
fort, indem sie ihn bey der Hand nahm, mässigen
Sie sich, Jhr Geist, Jhre Wissenschaft, Jhre
Talente, was bieten die Jhnen für mannigfaltige
Ergözzungen dar! seyn Sie ein Mann, wenden
Sie diese traurige Anhänglichkeit von einem Ge-
schöpse, das nichts thun kann als Sie bedauren. --
Er knirrte mit den Zähnen, und sah sie düster an.
Sie hielt seine Hand: Nur einen Augenblik ru-
higen Sinn, Werther, sagte sie. Fühlen Sie
nicht, daß Sie sich betrügen, sich mit Willen zu
Grunde richten? Warum denn mich! Werther!

Just



ihr, gieng in der Stube auf und ab, und mur,
melte das: es kann nicht ſo bleiben! zwiſchen den
Zaͤhnen. Lotte, die den ſchroͤklichen Zuſtand fuͤhlte,
worinn ihn dieſe Worte verſezt hatten, ſuchte durch
allerley Fragen ſeine Gedanken abzulenken, aber
vergebens: Nein, Lotte, rief er aus: ich werde Sie
nicht wieder ſehn! — Warum das? verſezte ſie,
Werther, Sie koͤnnen, Sie muͤſſen uns wieder
ſehen, nur maͤſſigen Sie ſich. O! warum mußten
Sie mit dieſer Heſtigkeit, dieſer unbezwinglich haf-
tenden Leidenſchaft fuͤr alles, das Sie einmal an-
faſſen, gebohren werden. Jch bitte Sie, fuhr ſie
fort, indem ſie ihn bey der Hand nahm, maͤſſigen
Sie ſich, Jhr Geiſt, Jhre Wiſſenſchaft, Jhre
Talente, was bieten die Jhnen fuͤr mannigfaltige
Ergoͤzzungen dar! ſeyn Sie ein Mann, wenden
Sie dieſe traurige Anhaͤnglichkeit von einem Ge-
ſchoͤpſe, das nichts thun kann als Sie bedauren. —
Er knirrte mit den Zaͤhnen, und ſah ſie duͤſter an.
Sie hielt ſeine Hand: Nur einen Augenblik ru-
higen Sinn, Werther, ſagte ſie. Fuͤhlen Sie
nicht, daß Sie ſich betruͤgen, ſich mit Willen zu
Grunde richten? Warum denn mich! Werther!

Juſt
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[182/0070] ihr, gieng in der Stube auf und ab, und mur, melte das: es kann nicht ſo bleiben! zwiſchen den Zaͤhnen. Lotte, die den ſchroͤklichen Zuſtand fuͤhlte, worinn ihn dieſe Worte verſezt hatten, ſuchte durch allerley Fragen ſeine Gedanken abzulenken, aber vergebens: Nein, Lotte, rief er aus: ich werde Sie nicht wieder ſehn! — Warum das? verſezte ſie, Werther, Sie koͤnnen, Sie muͤſſen uns wieder ſehen, nur maͤſſigen Sie ſich. O! warum mußten Sie mit dieſer Heſtigkeit, dieſer unbezwinglich haf- tenden Leidenſchaft fuͤr alles, das Sie einmal an- faſſen, gebohren werden. Jch bitte Sie, fuhr ſie fort, indem ſie ihn bey der Hand nahm, maͤſſigen Sie ſich, Jhr Geiſt, Jhre Wiſſenſchaft, Jhre Talente, was bieten die Jhnen fuͤr mannigfaltige Ergoͤzzungen dar! ſeyn Sie ein Mann, wenden Sie dieſe traurige Anhaͤnglichkeit von einem Ge- ſchoͤpſe, das nichts thun kann als Sie bedauren. — Er knirrte mit den Zaͤhnen, und ſah ſie duͤſter an. Sie hielt ſeine Hand: Nur einen Augenblik ru- higen Sinn, Werther, ſagte ſie. Fuͤhlen Sie nicht, daß Sie ſich betruͤgen, ſich mit Willen zu Grunde richten? Warum denn mich! Werther! Juſt

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/70>, abgerufen am 25.04.2024.