Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

sie sie nicht gebraucht. Es giebt keine gefährlichere Stellung auf Gottes Erde, als den Kopf gen Himmel zu strecken, während man Nichts unter den Füßen hat. Hochmuth zieht die Hoffart nach, hinterher kommt die Armuth; wo diese drei in einem Menschen oder einem Geschlechte hausen, da ist ein gefährlich Dabeisein, ehedem wie jetzt. Hoffart und Hochmuth schämen sich begreiflich der Armuth, greifen zu allen Mitteln, um wenn auch nicht reich zu werden, so doch die Armuth zu verdecken. Je nach Stand und Zeit wird List und Gewalt versucht, doch zumeist umsonst; während man Andere arm macht, wird man selbst alle Tage ärmer, hochmüthiger und verachteter. Die Schwierigkeit, reich zu werden, wird zur Unmöglichkeit, in Schmach und Noth geht der Mensch oder die Familie unter. Dies ist die Geschichte von tausend und abermal tausend Familien oder Menschen. Auf diesen Wegen wandelten eben auch die Herren von Koppigen.

Im wilden Leben war die Familie zusammengeschmolzen; zur Zeit, in welcher unsere Geschichte beginnt, lebten im Schlößchen nur noch Mutter und Sohn, jung war der Vater erschlagen worden, als er eine Heerde Kühe rauben wollte. Grimhilde hieß die Frau von Koppigen, und nie paßten Name und Person besser zusammen, als bei ihr. Sie war eine Gräfin gewesen aus vornehmem Hause und hatte den Herrn von Koppigen geheirathet, weil sie nicht fromm genug war für ein Kloster und den Grundsatz hatte: wenn sie keinen

sie sie nicht gebraucht. Es giebt keine gefährlichere Stellung auf Gottes Erde, als den Kopf gen Himmel zu strecken, während man Nichts unter den Füßen hat. Hochmuth zieht die Hoffart nach, hinterher kommt die Armuth; wo diese drei in einem Menschen oder einem Geschlechte hausen, da ist ein gefährlich Dabeisein, ehedem wie jetzt. Hoffart und Hochmuth schämen sich begreiflich der Armuth, greifen zu allen Mitteln, um wenn auch nicht reich zu werden, so doch die Armuth zu verdecken. Je nach Stand und Zeit wird List und Gewalt versucht, doch zumeist umsonst; während man Andere arm macht, wird man selbst alle Tage ärmer, hochmüthiger und verachteter. Die Schwierigkeit, reich zu werden, wird zur Unmöglichkeit, in Schmach und Noth geht der Mensch oder die Familie unter. Dies ist die Geschichte von tausend und abermal tausend Familien oder Menschen. Auf diesen Wegen wandelten eben auch die Herren von Koppigen.

Im wilden Leben war die Familie zusammengeschmolzen; zur Zeit, in welcher unsere Geschichte beginnt, lebten im Schlößchen nur noch Mutter und Sohn, jung war der Vater erschlagen worden, als er eine Heerde Kühe rauben wollte. Grimhilde hieß die Frau von Koppigen, und nie paßten Name und Person besser zusammen, als bei ihr. Sie war eine Gräfin gewesen aus vornehmem Hause und hatte den Herrn von Koppigen geheirathet, weil sie nicht fromm genug war für ein Kloster und den Grundsatz hatte: wenn sie keinen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0012"/>
sie sie nicht gebraucht. Es giebt keine gefährlichere                     Stellung auf Gottes Erde, als den Kopf gen Himmel zu strecken, während man                     Nichts unter den Füßen hat. Hochmuth zieht die Hoffart nach, hinterher kommt die                     Armuth; wo diese drei in einem Menschen oder einem Geschlechte hausen, da ist                     ein gefährlich Dabeisein, ehedem wie jetzt. Hoffart und Hochmuth schämen sich                     begreiflich der Armuth, greifen zu allen Mitteln, um wenn auch nicht reich zu                     werden, so doch die Armuth zu verdecken. Je nach Stand und Zeit wird List und                     Gewalt versucht, doch zumeist umsonst; während man Andere arm macht, wird man                     selbst alle Tage ärmer, hochmüthiger und verachteter. Die Schwierigkeit, reich                     zu werden, wird zur Unmöglichkeit, in Schmach und Noth geht der Mensch oder die                     Familie unter. Dies ist die Geschichte von tausend und abermal tausend Familien                     oder Menschen. Auf diesen Wegen wandelten eben auch die Herren von Koppigen.</p><lb/>
        <p>Im wilden Leben war die Familie zusammengeschmolzen; zur Zeit, in welcher unsere                     Geschichte beginnt, lebten im Schlößchen nur noch Mutter und Sohn, jung war der                     Vater erschlagen worden, als er eine Heerde Kühe rauben wollte. Grimhilde hieß                     die Frau von Koppigen, und nie paßten Name und Person besser zusammen, als bei                     ihr. Sie war eine Gräfin gewesen aus vornehmem Hause und hatte den Herrn von                     Koppigen geheirathet, weil sie nicht fromm genug war für ein Kloster und den                     Grundsatz hatte: wenn sie keinen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0012] sie sie nicht gebraucht. Es giebt keine gefährlichere Stellung auf Gottes Erde, als den Kopf gen Himmel zu strecken, während man Nichts unter den Füßen hat. Hochmuth zieht die Hoffart nach, hinterher kommt die Armuth; wo diese drei in einem Menschen oder einem Geschlechte hausen, da ist ein gefährlich Dabeisein, ehedem wie jetzt. Hoffart und Hochmuth schämen sich begreiflich der Armuth, greifen zu allen Mitteln, um wenn auch nicht reich zu werden, so doch die Armuth zu verdecken. Je nach Stand und Zeit wird List und Gewalt versucht, doch zumeist umsonst; während man Andere arm macht, wird man selbst alle Tage ärmer, hochmüthiger und verachteter. Die Schwierigkeit, reich zu werden, wird zur Unmöglichkeit, in Schmach und Noth geht der Mensch oder die Familie unter. Dies ist die Geschichte von tausend und abermal tausend Familien oder Menschen. Auf diesen Wegen wandelten eben auch die Herren von Koppigen. Im wilden Leben war die Familie zusammengeschmolzen; zur Zeit, in welcher unsere Geschichte beginnt, lebten im Schlößchen nur noch Mutter und Sohn, jung war der Vater erschlagen worden, als er eine Heerde Kühe rauben wollte. Grimhilde hieß die Frau von Koppigen, und nie paßten Name und Person besser zusammen, als bei ihr. Sie war eine Gräfin gewesen aus vornehmem Hause und hatte den Herrn von Koppigen geheirathet, weil sie nicht fromm genug war für ein Kloster und den Grundsatz hatte: wenn sie keinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/12
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/12>, abgerufen am 16.04.2024.