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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Hause und in seiner Abwesenheit öffne sich die Burg nicht, so am Hungertuche nagen oder vorlieb nehmen zu müssen, was Landleute aus gutem Willen gaben, ungefähr wie heutzutage die gemeinsten Bettler. So ritt er mehrere Tage am gleichen Stück, welches man jetzt in einem Tage durchreiten kann. Damals waren noch keine obrigkeitlichen Wegknechte und keine obrigkeitlichen Ingenieure, von denen die Letztern immer für neue Straßen sorgen, die Erstern zuweilen für die alten, und wenn man auch politische Parteien hatte, so war es doch noch keiner in Sinn gekommen, die Vaterlandsliebe in der Straßenliebe zu verkörpern und im Glanze derselben in aller Stille sich zu mästen. So war Kurt gezogen, bis an einem heißen Mittage er in einer Herberge hörte, selben Abend noch werde er zu Zürich am Thore sein, ohne daß er scharf zu reiten brauche. Das machte ihm denn doch bange; seit er in der Welt war, fühlte er, daß das Präsentiren eben nicht seine starke Seite sei; er sann vor der Herberge, wo er über Mittag eingeritten, ernstlich über die Rede nach, welche er zu Zürich am Thore halten wolle, denn er hatte gehört, sein Glück dort hänge hauptsächlich von seiner Rede ab. Reden sei dort die gangbarste Münze.

Ungewohnte Arbeit macht durstig; der Krug mit Züricher Rebensaft wurde Kurt mehr als einmal gefüllt, über dem letzten schlief er ein; wahrscheinlich in der Hoffnung, da er die rechte Rede nicht ersinnene

Hause und in seiner Abwesenheit öffne sich die Burg nicht, so am Hungertuche nagen oder vorlieb nehmen zu müssen, was Landleute aus gutem Willen gaben, ungefähr wie heutzutage die gemeinsten Bettler. So ritt er mehrere Tage am gleichen Stück, welches man jetzt in einem Tage durchreiten kann. Damals waren noch keine obrigkeitlichen Wegknechte und keine obrigkeitlichen Ingenieure, von denen die Letztern immer für neue Straßen sorgen, die Erstern zuweilen für die alten, und wenn man auch politische Parteien hatte, so war es doch noch keiner in Sinn gekommen, die Vaterlandsliebe in der Straßenliebe zu verkörpern und im Glanze derselben in aller Stille sich zu mästen. So war Kurt gezogen, bis an einem heißen Mittage er in einer Herberge hörte, selben Abend noch werde er zu Zürich am Thore sein, ohne daß er scharf zu reiten brauche. Das machte ihm denn doch bange; seit er in der Welt war, fühlte er, daß das Präsentiren eben nicht seine starke Seite sei; er sann vor der Herberge, wo er über Mittag eingeritten, ernstlich über die Rede nach, welche er zu Zürich am Thore halten wolle, denn er hatte gehört, sein Glück dort hänge hauptsächlich von seiner Rede ab. Reden sei dort die gangbarste Münze.

Ungewohnte Arbeit macht durstig; der Krug mit Züricher Rebensaft wurde Kurt mehr als einmal gefüllt, über dem letzten schlief er ein; wahrscheinlich in der Hoffnung, da er die rechte Rede nicht ersinnene

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[0045] Hause und in seiner Abwesenheit öffne sich die Burg nicht, so am Hungertuche nagen oder vorlieb nehmen zu müssen, was Landleute aus gutem Willen gaben, ungefähr wie heutzutage die gemeinsten Bettler. So ritt er mehrere Tage am gleichen Stück, welches man jetzt in einem Tage durchreiten kann. Damals waren noch keine obrigkeitlichen Wegknechte und keine obrigkeitlichen Ingenieure, von denen die Letztern immer für neue Straßen sorgen, die Erstern zuweilen für die alten, und wenn man auch politische Parteien hatte, so war es doch noch keiner in Sinn gekommen, die Vaterlandsliebe in der Straßenliebe zu verkörpern und im Glanze derselben in aller Stille sich zu mästen. So war Kurt gezogen, bis an einem heißen Mittage er in einer Herberge hörte, selben Abend noch werde er zu Zürich am Thore sein, ohne daß er scharf zu reiten brauche. Das machte ihm denn doch bange; seit er in der Welt war, fühlte er, daß das Präsentiren eben nicht seine starke Seite sei; er sann vor der Herberge, wo er über Mittag eingeritten, ernstlich über die Rede nach, welche er zu Zürich am Thore halten wolle, denn er hatte gehört, sein Glück dort hänge hauptsächlich von seiner Rede ab. Reden sei dort die gangbarste Münze. Ungewohnte Arbeit macht durstig; der Krug mit Züricher Rebensaft wurde Kurt mehr als einmal gefüllt, über dem letzten schlief er ein; wahrscheinlich in der Hoffnung, da er die rechte Rede nicht ersinnene

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/45>, abgerufen am 25.04.2024.