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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Aber Luise dachte weder an die Freundin, nach an die Spendvögtin, und darum weinte sie nicht, weil sie nicht in Ewigkeit ihr Haupt in ihren Schooß legen konnte; aber anders wohin hätte sie dasselbe für ihr Leben gerne gelegt, und weil sie dieses nicht konnte, darum weinte sie bitterlich. Ach, will mich denn Niemand lieben, und meinte ich es doch so gut; ach, und wie wollte ich Einen glücklich machen, o anders als die Andern alle, welche Egoistinnen sind. An mich denkt Keiner! Eine nach der Andern findet Einen, ich Keinen, ich muß allein bleiben, Niemand hat mich lieb Ai, ai! So jammert Luise, hält die Hand aufs Herz, denn dort pocht es gewaltig, als ob es gesprungen sein müßte. Und doch wurde Luise nicht neidisch, stellte sich nicht vor den Spiegel, verglich sich nicht mit der Glücklichen, fand sich nicht zehnmal hübscher als sie und unbegreiflich, wo der Schlingel, der sie auserwählt, seine Augen gehabt, rupfte auch nicht der Freundin alle ihre Sünden auf, stellte die eigenen Tugenden daneben, sagte nicht: He nun so dann, wenn sie nicht mehr Verstand haben, so ist es ihnen zu gönnen, wenn sie so recht getäuscht werden! -- lief ebenfalls nicht bei den Freundinnen herum, zählte an den Fingern die Laster der Freundin her und schloß weinerlich: wie doch der arme Mensch sie daure, der meine, er kriege einen Tugendspiegel und habe die schrecklichste Sündenbüchse auf Erden. Wenn sie nur Jemand wüßte, sie ließe ihn im Vertrauen warnen, es sei doch nicht recht, wenn man seinen Nächsten ins Unglück rennen sehe und gebe ihm keinen Wink. Von diesem Allem sagte Luise nichts, sie dachte nur: Will mich denn Keiner lieben? und wenn sie unter die Leute kam, so schien sie noch farbloser, redete noch leiser, und wie gesagt, Worte, welche man mit den Händen hinter den Ohren auffangen muß, sind eben nicht förderlich Liebe zu wecken und anzubrennen. Endlich hatte sie nur noch eine Freundin, denn, wie gesagt, die Mädchen in dem Städtchen waren berühmt wegen der Zärtlichkeit, und eine herrlichere Aussicht auf Erden

Aber Luise dachte weder an die Freundin, nach an die Spendvögtin, und darum weinte sie nicht, weil sie nicht in Ewigkeit ihr Haupt in ihren Schooß legen konnte; aber anders wohin hätte sie dasselbe für ihr Leben gerne gelegt, und weil sie dieses nicht konnte, darum weinte sie bitterlich. Ach, will mich denn Niemand lieben, und meinte ich es doch so gut; ach, und wie wollte ich Einen glücklich machen, o anders als die Andern alle, welche Egoistinnen sind. An mich denkt Keiner! Eine nach der Andern findet Einen, ich Keinen, ich muß allein bleiben, Niemand hat mich lieb Ai, ai! So jammert Luise, hält die Hand aufs Herz, denn dort pocht es gewaltig, als ob es gesprungen sein müßte. Und doch wurde Luise nicht neidisch, stellte sich nicht vor den Spiegel, verglich sich nicht mit der Glücklichen, fand sich nicht zehnmal hübscher als sie und unbegreiflich, wo der Schlingel, der sie auserwählt, seine Augen gehabt, rupfte auch nicht der Freundin alle ihre Sünden auf, stellte die eigenen Tugenden daneben, sagte nicht: He nun so dann, wenn sie nicht mehr Verstand haben, so ist es ihnen zu gönnen, wenn sie so recht getäuscht werden! — lief ebenfalls nicht bei den Freundinnen herum, zählte an den Fingern die Laster der Freundin her und schloß weinerlich: wie doch der arme Mensch sie daure, der meine, er kriege einen Tugendspiegel und habe die schrecklichste Sündenbüchse auf Erden. Wenn sie nur Jemand wüßte, sie ließe ihn im Vertrauen warnen, es sei doch nicht recht, wenn man seinen Nächsten ins Unglück rennen sehe und gebe ihm keinen Wink. Von diesem Allem sagte Luise nichts, sie dachte nur: Will mich denn Keiner lieben? und wenn sie unter die Leute kam, so schien sie noch farbloser, redete noch leiser, und wie gesagt, Worte, welche man mit den Händen hinter den Ohren auffangen muß, sind eben nicht förderlich Liebe zu wecken und anzubrennen. Endlich hatte sie nur noch eine Freundin, denn, wie gesagt, die Mädchen in dem Städtchen waren berühmt wegen der Zärtlichkeit, und eine herrlichere Aussicht auf Erden

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:45:11Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:45:11Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/14>, abgerufen am 28.03.2024.